Frankfurt (Reuters) - Für den Energiekonzern Siemens Energy entwickelt sich die Windturbinen-Tochter Siemens Gamesa zum Fass ohne Boden.

Die Probleme bei den bereits installierten Windkraftanlagen an Land sind größer als erwartet, zudem gelingt der Ausbau der Fertigung von neuen Offshore-Anlagen nicht wie erhofft. "Der Rückschlag ist heftiger, als ich es für möglich gehalten hätte", sagte Siemens-Energy-Chef Christian Bruch am Freitag in einem Analysten-Call. Das Unternehmen strich seine Prognose und rechnet mit zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe. Dabei hatte der Münchner Konzern für 2022/23 (Ende September) schon bisher mit einem auf mehr als 800 Millionen Euro steigenden Nettoverlust gerechnet.

An der Börse kehrten Anleger dem Konzern in Scharen den Rücken. Die Aktie brach um mehr als ein Drittel ein, der Börsenwert sank um 6,3 Milliarden Euro. "Wenn sie schon nicht wissen, was das Ganze am Ende kostet, wie soll es dann der Markt wissen", sagte ein Händler. Wenn man die Geschichte der Branche ansehe, sei die Warnung keine vollständige Überraschung, schrieben die Experten von JP Morgan, "aber was uns überrascht hat, ist die Größenordnung".

MATERIAL- UND DESIGNFEHLER FÜR PROBLEME VERANTWORTLICH

Erst im Januar hatte Gamesa eine knappe halbe Milliarde Euro für Garantie- und Wartungskosten zurückgestellt, weil Teile an den Windrädern gehäuft ausfielen. Doch das reicht bei weitem nicht aus. "Die Qualitätsprobleme gehen deutlich über das hinaus, was bisher bekannt war", sagte Siemens-Gamesa-Chef Jochen Eickholt. Bei einer umfangreichen Analyse habe sich gezeigt, dass Komponenten wie Lager oder Rotorblätter fehlerhaft seien. "Wir haben noch kein abschließendes Resultat, aber das Ergebnis der Untersuchung ist schlechter, als ich es für möglich gehalten habe." Zum Teil stünden auch Designprobleme hinter den Fehlern.

Dazu komme die Unternehmenskultur bei Siemens Gamesa, sagte Bruch. Die nun gefundenen Fehler beträfen vor allem die Bestandsflotte, hier zeige sich ein Mangel an Transparenz. Es sei zu viel unter den Teppich gekehrt worden. Die Auswirkungen der technischen Probleme bei bestimmten Komponenten seien noch nicht ganz abzuschätzen, da der Lebenszyklus solcher Teile rund 20 Jahre dauere, ergänzte Siemens-Gamesa-Chef Eickholt. Auch die Kosten könne man noch nicht genau beziffern, sagte Bruch: Im nächsten Schritt gehe es jetzt darum, zu analysieren, wann und wie die Anlagen repariert werden müssten. Weitere Informationen kündigte das Unternehmen für den 7. August an, wenn die Quartalszahlen vorgelegt werden.

ZUSÄTZLICHE SCHWIERIGKEITEN IN DER PRODUKTION

Doch nicht nur die bereits ausgelieferten Anlagen bereiten Bruch und Eickholt Kopfzerbrechen - auch der Hochlauf der Produktion von neuen Offshore-Windkraftanlagen läuft nicht so wie eigentlich geplant. Eickholt berichtete von Verzögerungen beim Bau neuer Hallen, zu spät gelieferten Werkzeugen oder Schwierigkeiten, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden. Dazu kämen steigende Materialkosten und eine geringere Produktivität als erwartet, welche das Geschäft mit Windkraftanlagen an Land beeinträchtigten. Keines dieser Themen sei für sich betrachtet herausragend, "aber die Summe ist etwas, das uns Sorgen bereitet", sagte Eickholt. Siemens Gamesa ist der weltgrößte Hersteller von Windanlagen auf hoher See (Offshore).

Dennoch sei die vollständige Übernahme von Gamesa kein Fehler gewesen, sagte Bruch. "Windenergie wird für die Energiewende gebraucht, Windenergie muss profitabel werden", betonte er. Zugleich räumte er eine Fehleinschätzung ein, die das gesamte Geschäft von Siemens Energy betrifft, das neben den Windkraftanlagen auch Gasturbinen oder Kraftwerkstechnik umfasst. "Ich dachte, Siemens Gamesa wäre das kleinere Problem - dass das nicht der Fall ist, haben wir über die vergangenen Jahre gelernt." Nun gelte es, das Problem zu lösen. "Wir hätten uns aber gewünscht, dass es schneller geht", räumte er ein.

Bruch hatte Eickholt vor gut einem Jahr nach Spanien geschickt, damit dieser den Windturbinen-Hersteller wieder auf Kurs bringt. Er habe mit einer neuen Mannschaft nun das Unternehmen gründlich durchleuchtet, sagte Bruch. "Insofern ist das jetzt das breiteste Assessment, das ich bisher gesehen habe." Eickholt gilt als äußerst erfahrener Sanierer, der vor Gamesa bereits andere Bereiche des Siemens-Konzerns auf Vordermann gebracht hatte.

Doch Gamesa gilt als besonders hartnäckiger Fall. Seit Jahren macht der Windkraftanlagenbauer immer wieder mit Verlusten und Qualitätsmängeln auf sich aufmerksam. Wiederholt musste Siemens Energy deswegen seine Prognose kappen. Erst vor wenigen Wochen hatte Siemens Energy das spanische Unternehmen vollständig übernommen, um besser durchgreifen zu können.

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- von Christina Amann