Berlin/Brüssel (Reuters) - Nach Festnahmen im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen im Europäischen Parlament gibt es parteiübergreifend die Forderung nach Konsequenzen.

Politiker der Union und der Grünen stellten am Sonntag in diesem Zusammenhang eine geplante Visa-Liberalisierung für Katar infrage. Zu den Festgenommenen soll auch die griechische Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments (EP), Eva Kaili gehören. Mit Blick auf Kaili sagte die deutsche EP-Vizepräsidentin, Katarina Barley, der Nachrichtenagentur Reuters: "Die sozialdemokratische EP-Fraktion hat sie bereits suspendiert und wird auch ihre Abwahl als Parlamentsvizepräsidentin beantragen." Die Grünen-Ko-Fraktionschefin im EP, Terry Reintke, sagte Reuters-TV, dass Kaili sofort zurücktreten müsse. Die Staatsanwaltschaft in Brüssel teilte mit, es habe am Samstagabend Durchsuchungen bei einem zweiten EP-Abgeordneten gegeben. Katar, über das Kaili sich lobend geäußert hatte, wies Vorwürfe von Korruption scharf zurück.

"Die in Raum stehenden Vorwürfe sind heftig: Eine Abgeordnete, die gegen Geld versucht, Parlamentsbeschlüsse zu beeinflussen", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe bei der konservativen EVP-Fraktion im EP, Daniel Caspary, zu Reuters. "Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, dann erwarte ich einen schnellen Rücktritt." Er forderte zudem Aufklärung der europäischen Sozialisten: "Sind noch weitere Abgeordnete oder Mitarbeiter beteiligt? Wer hatte möglicherweise Kenntnis?"

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte dem italienischen Fernsehsender Rai 3, dass der Fall "sehr ernst" zu sein scheine. "Wenn sich bestätigen sollte, dass jemand Geld genommen hat, um die Meinung des Europäischen Parlaments zu beeinflussen, wäre das wirklich eine der dramatischsten Korruptionsgeschichten der letzten Jahre", fügte er hinzu.

Am Freitag waren sechs Verdächtige von belgischen Behörden nach übereinstimmenden Medienberichten festgenommen worden. Bei der Durchsuchung von 16 Häusern seien auch 600.000 Euro Bargeld sichergestellt worden. Vier der Festgenommenen wird nun laut Staatsanwaltschaft mutmaßliche Korruption, Geldwäsche, Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie versuchte Einflussnahme aus dem Ausland vorgeworfen. Da sich Kaili vor allem lobend über Katar geäußert hatte, könnte laut belgischen Medien der Golfstaat hinter den Korruptionsvorwürfen stecken. Das Außenministerium in Katar wies dies allerdings scharf zurück. "Jede Verbindung der katarischen Regierung mit den berichteten Vorwürfen ist grundlos und gravierend uninformiert." Katar operiere nach den gültigen internationalen Gesetzen und Regeln.

Dennoch könnte der Vorfall Auswirkungen auf das Land haben. Denn der Innenausschuss des Parlaments hatte sich für eine Visa-Liberalisierung für Katar ausgesprochen. Nun gibt es aber Kritik daran. "Wenn das EP möglicherweise mit Geld von Kräften aus dem Ausland beeinflusst wurde, muss man das Verfahren im Parlament erst einmal stoppen", forderte Caspary. "In dieser Situation kann es natürlich keine Visa-Liberalisierung für Katar geben", schrieb der Grünen-EP-Abgeordnete Erik Marquardt auf Twitter. "Die geplante Abstimmung darüber wird entweder in den Innenausschuss zurücküberwiesen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen oder wir stimmen als Parlament gegen die Visa-Liberalisierung."

BARLEY: KRIMINELLER EINZELFALL NIE AUSZUSCHLIESSEN

Die Grünen-Fraktionschefin Reintke forderte Änderungen der Transparenzregeln für das EP. So sollte man im Lobbyregister Vertreter aus Drittländern wie Katar aufnehmen. Dies schaffe mehr Transparenz, wenn es darum geht, mit wem sich die Abgeordneten in ihrer Funktion als Mitglieder des Europäischen Parlaments treffen, sagte sie zu Reuters.

SPD-Politikerin Barley betonte dagegen, dass die Transparenz-Regeln im EP schon sehr weitgehend seien. "Es geht um einen offenbar kriminellen Einzelfall, den können Sie nie ausschließen", sagte sie. Barley regte an, dass der Bundestag sich die europäischen Regeln anschauen sollte. "Auch der Bundestag könnte darüber nachdenken, Auskünfte einzuholen, wer in welchen Bereichen von Gesetzesvorhaben Lobbyarbeit betreibt", fügte Barley hinzu. Die europäischen Transparenz-Regeln seien "durchaus fortschrittlicher als dies in Deutschland auf Bundesebene der Fall ist", fügte sie hinzu.

Die Regeln würden zudem für alle drei europäischen Institutionen gelten, also Parlament, Kommission und Rat. Wer etwa einen Kommissar treffen möchte, müsse im Lobbyregister registriert sein und dort auch Angaben gemacht haben, mit welchem Dossier er oder sie sich beschäftigt, wie viele Angestellte es gibt und wie hoch das eigene Budget ist, sagte Barley.

(Bericht von Andreas Rinke, Philip Blenkinsop, Andrew Wills; redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)