- von Alexander Hübner und Christoph Steitz

München (Reuters) - Massiver Rückschlag für Siemens Energy: Schäden an Windrad-Rotorblättern und aus dem Ruder laufende Kosten bei der spanischen Windkraft-Tochter Gamesa kosten den Energietechnik-Konzern mehr als zwei Milliarden Euro.

Die Probleme bei Siemens Gamesa werden Siemens Energy im laufenden Geschäftsjahr 2022/23 (per Ende September) mit rund 4,5 Milliarden Euro in die roten Zahlen drücken, wie Vorstandschef Christian Bruch am Montag einräumte. Der Verlust wäre damit sechsmal so hoch wie gedacht. "Wir wollten zu viel zu schnell", sagte Bruch. Nun will er die Strategie im Windgeschäft insgesamt auf den Prüfstand stellen, das seit Jahren Negativ-Überraschungen und Verluste produziert. "Wir haben die finanziellen Mittel, um Siemens Gamesa zu sanieren - auch wenn es länger dauert", sagte Bruch.

Siemens Energy hatte die neuen Probleme bei Siemens Gamesa im Juni offengelegt und vor Milliardenbelastungen gewarnt. Bei Windrädern zum Einsatz an Land waren Schäden an Rotorblättern und Lagern aufgefallen - laut Gamesa-Chef Jochen Eickholt noch bevor die Kunden es merkten. Die Kunden hätten keine Ausfälle gemeldet - sie seien aber absehbar.

Bei Windturbinen, die auf hoher See (offshore) eingesetzt werden, kämpft Siemens Gamesa an zwei Fronten: Zum einen laufen die Kosten für Stahl und andere Materialien davon, wodurch das Unternehmen plötzlich auf einem Berg unrentabler Aufträge sitzt. Zum anderen dauert es länger, um die Fabriken hochzufahren oder umzurüsten und Mitarbeiter anzulernen, um die riesige Nachfrage zu bewältigen. Man habe da wohl zu optimistisch kalkuliert, sagte Eickholt, der als Sanierer zu Gamesa geschickt worden war. "Wir sind die Opfer unseres eigenen Anspruchs."

Nach sechs Wochen fieberhafter Untersuchungen sieht Bruch klarer: Rund 1,6 Milliarden Euro werde es kosten, die Schäden an Rotorblättern und Lagern bei den Onshore-Plattformen 4.X und 5.X von Siemens Gamesa zu beheben. Die Reparaturen sollen 2024 und 2025 vorzugsweise im Zuge der regulären Inspektion stattfinden, um die Ausfallzeiten gering zu halten, für die Siemens Energy einstehen müsste. Als Konsequenz will sich Siemens Gamesa von einigen Lieferanten trennen - haftbar machen kann man sie nur bis zu ihrem Auftragsvolumen. "Der Schaden, der uns entstanden ist, ist größer", sagte Eickholt.

Auf rund 600 Millionen Euro veranschlagt er die Probleme bei Offshore-Anlagen. Dazu kommen negative Steuereffekte: Siemens Energy kann Verlustvorträge von 700 Millionen Euro nicht nutzen, so lange nicht absehbar ist, wann der Konzern wieder schwarze Zahlen schreibt.

Zu Rückschlüssen des Kassensturzes auf die Strategie hielt sich Vorstandschef Bruch bedeckt. "Wir sehen Wind nach wie vor als attraktiven Wachstumsmarkt:" Doch man müsse dort auch Geld verdienen. Der Grund für die missliche Lage liege auch in der Politik, die die Branche nicht vor der chinesischen Konkurrenz schütze und schnelle Lieferungen fordere. Dadurch erhöhe sich der Druck auf die Hersteller. "Wir müssen Wettbewerbsgleichheit schaffen. Das ist nicht überall auf der Welt der Fall", sagte Bruch. Mit Hilfe der auf schwierige Fälle spezialisierten Unternehmensberater von Alix Partners will Siemens Energy bis November beraten, wie es bei Siemens Gamesa weitergeht.

Eine erneute Kapitalerhöhung schloss Finanzchefin Maria Ferraro aber aus: Das angestammte Geschäft mit Gaskraftwerken und Stromnetzen sei profitabel und bringe genug Geld ein. Den Börsianern fiel es schwer, die Nachrichten einzuordnen. Die gebeutelte Siemens-Energy-Aktie fiel zunächst um sieben Prozent, lag zeitweise aber auch sieben Prozent im Plus. "Die Zahlen sind negativ, aber nicht so schlecht wie einige Anleger befürchtet hatten", schrieben die Analysten von JPMorgan. Die Schätzungen für die Belastungen reichten vorher bis zu fünf Milliarden Euro. Mit der Steuer-Abschreibung habe Siemens Energy nun wohl "reinen Tisch" machen wollen, so JPMorgan.

Für das laufende vierte Quartal geht der Konzern nochmals von operativen Verlusten von mindestens 600 Millionen Euro aus, weil bei Siemens Gamesa Umsatz fehlt. Im Geschäftsjahr dürften allein bei der Tochter 4,3 Milliarden Euro Verlust auflaufen. Trotz eines riesigen Auftragseingangs rechnet Siemens Gamesa im Geschäftsjahr allenfalls mit einem stagnierenden Umsatz.

Das drückt das erwartete Umsatzwachstum im Konzern auf neun bis elf (bisher zehn bis zwölf) Prozent. Auch das Ergebnis vor Sondereffekten von Siemens Energy dürfte nun tiefrot ausfallen; bisher hatte der Konzern wenigstens noch mit einer kleinen Marge von einem Prozent gerechnet. Im dritten Quartal fiel ein Verlust von 2,9 (Vorjahr: minus 0,6) Milliarden Euro an, der Umsatz stieg um acht Prozent auf 7,5 Milliarden Euro. Dabei läuft das restliche Geschäft mit konventioneller Energietechnik und Stromnetzen gut. "Die starke Leistung der übrigen Geschäftsbereiche gibt mir das Vertrauen in die Fähigkeit unseres Unternehmens, Geschäfte wieder wirtschaftlich erfolgreich aufzustellen", sagte Bruch.

(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)