Börsen-Zeitung: Volatilität als Risiko, Marktkommentar von Dietegen
Müller
   Frankfurt (ots) - Nicht zum ersten Mal sorgt die rekordverdächtig 
niedrige Volatilität an den Aktienmärkten für Aufsehen. Der VStoxx 
Index, der die am Markt für den Euro Stoxx 50 erwartete 
Schwankungsbreite auf Sicht von 30 Tagen abbildet, ist am Mittwoch 
unter 10,8 Punkte und damit auf den bisher niedrigsten Stand 
gesunken. Ein Wert von 20, so die Faustregel, prognostiziert eine 
mittlere tägliche Schwankungsbreite von 1 Prozent - bei 10 wären es 
nur 0,5 Prozent. In den USA ist das Bild ähnlich, wenngleich dort das
Tief früher im Jahr erreicht wurde. Im langfristigen Mittel beträgt 
die Volatilität etwa um 20 Punkte, in Krisenphasen auch bis 90 
Punkte.

   Was sagt nun die sehr niedrige Volatilität in Bezug auf die 
Risiken im Markt aus? Gemeinhin wird sie als Sorglosigkeit 
interpretiert. Da sie dauerhaft niedrig zu sein scheint, ist eine 
Frage, ob das Verhalten sorgloser Anleger früher oder später 
unweigerlich in einen Crash münden muss. Der eben verstrichene 
Jahrestag des "Black Monday" 1987 lässt grüßen.

   Nun wäre es eine sehr buchhalterisch geprägte Sichtweise, die 
erwartete Schwankungsbreite eines Wertpapiers als aussagekräftigen 
Indikator zu verstehen, was die Risiken ebensolchen Wertpapiers 
betrifft. Dass dessen Preis stark schwanken kann, sagt nichts aus 
über seinen fundamentalen Wert und die innewohnenden Risiken. Es 
handelt sich nur um eine Eigenschaft. Diese Erkenntnis ist wichtig, 
denn erfahrene Investoren halten Volatilitätskennziffern zu Recht für
ungeeignet, Hinweise auf die innewohnenden Risiken von Anlagen zu 
geben.

   Ohne dies in direkten Zusammenhang stellen zu wollen, ist auch der
Zusammenhang zwischen Volatilität und Rendite nicht eindeutig. In der
Praxis zeigt sich, dass Aktien, die eine niedrige Volatilität 
aufweisen, über lange Zeiträume eine überdurchschnittliche 
Renditeentwicklung zeigen. Die aus dem Kapitalmarktmodell abgeleitete
Aussage, niedrigere Volatilität werde mit niedrigeren Renditen 
belohnt und höhere Volatilität mit höheren Renditen, ist so gesehen 
nicht haltbar.

   Es wäre aber fahrlässig, Volatilität zu ignorieren, nur weil sie 
wenig Brauchbares zur Risikoerkennung liefert. Eine Studie der ETH 
Zürich um den französischen Physiker Didier Sornette sagt, es gebe 
keinen systematischen Beweis, dass eine steigende Volatilität als 
Frühwarnsignal für eine Blase genutzt werden könne. Doch hätten bei 
40 untersuchten Finanzmarktblasen in rund zwei Drittel der Fälle 
Kurseinbrüche nach einer Phase geringer Volatilität stattgefunden. 
Angesichts der geringen Stichprobe lässt sich aber nicht sicher 
ausschließen, dass es sich hier um einen Zufallsbefund handelt - oder
um eine Trivialität: Bricht ein Markt ein, steigt die Volatilität, 
also wird sie vorher geringer gewesen sein.

   Ein weiterer Grund, sich mit Volatilität auseinanderzusetzen, 
liegt in der Entwicklung zu einer eigenen Assetklasse. 
Volatilitätsprodukte haben in den vergangenen Jahren einen Boom 
erfahren. So gibt es nicht nur Volatilitätsindizes, sondern auch 
etliche Derivate (Futures und Optionen) sowie Exchange Traded 
Products (ETP), mit denen sich Spielarten von Volatilität kaufen und 
verkaufen lassen. Während der Kauf von Volatilität ein enormes 
Verlustgeschäft war, hat sich der Verkauf - etwa über den Inverse VIX
bisher gelohnt.

   Doch das Risiko besteht, dass hier zu viele Investoren auf die 
falsche Seite setzen. Laut Christopher Cole vom US-Hedgefonds Artemis
Capital sind derzeit rund 1,5 Bill. Dollar an Anlagegeldern so 
investiert, dass sie von einer dauerhaft niedrigen Volatilität 
ausgehen. Rund 60 Mrd. Dollar seien direkt in Produkte investiert, 
die auf fallende Volatilität setzen. Viele Produkte verknüpfen dabei 
Veränderungen in der Volatilität mit Aktienkäufen oder -Verkäufen, um
damit eine Zusatzrendite einfahren zu können.

   Einige Marktbeobachter befürchten hier Risiken, sollte die 
Volatilität plötzlich anspringen. Dies würde Investoren, die auf 
fallende Volatilität gesetzt haben, unter Druck setzen und zu 
Aktienverkäufen führen, welche die Volatilität weiter erhöhten. Im 
ungünstigsten Fall könnte sich daraus ein selbstverstärkendes, 
womöglich systemisches Problem entwickeln.

   Ein Warnzeichen könnten die in den vergangenen Monaten teilweise 
extremen Sprünge in der Volatilität sein. So stieg der Vix im Mai an 
einem Tag um 46,4 Prozent (der S&P 500 fiel um 1,8 Prozent). Der Spuk
war rasch wieder vorbei. Bisher ist es dabei zu keinen 
selbstverstärkenden Bewegungen gekommen. Das muss nicht so bleiben. 
Dadurch, dass Volatilität eine Assetklasse geworden ist, kann sie 
selbst zum Risiko werden.

OTS:              Börsen-Zeitung
newsroom:         http://www.presseportal.de/nr/30377
newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_30377.rss2

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de