Washington/Berlin (Reuters) - Der US-Preisauftrieb hat im Mai überraschend nachgelassen und lässt die Finanzmärkte auf eine Zinswende im Spätsommer hoffen.

Die Teuerungsrate sank auf 3,3 Prozent von 3,4 Prozent im April, wie das Arbeitsministerium am Mittwoch mitteilte. Von Reuters befragte Volkswirte hatten mit einer Stagnation auf dem Vormonatsniveau gerechnet. Von April auf Mai blieben die Preise unverändert. Experten hatten hier mit einem Zuwachs von 0,1 Prozent gerechnet.

Die Notenbank Federal Reserve berät am Abend (20.00 MESZ) wieder über den Leitzins. Sie stemmt sich mit einer Hochzinspolitik gegen die Teuerung und strebt eine Inflationsrate von zwei Prozent an. Die Währungshüter um Fed-Chef Jerome Powell haben bei der Inflationsentwicklung auch die sogenannte Kernrate im Blick, bei der schwankungsanfällige Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet werden. Diese Kennziffer sank im Mai auf 3,4 Prozent, nach 3,6 Prozent im April. Dies ist die niedrigste Kernrate seit April 2021. Ökonomen hatten nur einen Rückgang auf 3,5 Prozent auf dem Schirm.

Beobachter erwarten, dass die Notenbanker vorerst die Füße stillhalten und den Leitzins zunächst in der Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent belassen werden. Zugleich bestärkten die jetzigen Inflationsdaten die Finanzwelt in der Erwartung, dass die erste Zinssenkung auf der Sitzung des Fed-Offenmarktausschusses (FOMC) am 18. September über die Bühne gehen wird.

EUPHORIE AM MARKT

Der Inflationsbericht löste am Markt Euphorie aus. Der Dax und der EuroStoxx50 verdoppelten ihre Gewinne und lagen jeweils gut ein Prozent im Plus. Auch die Futures für die wichtigsten US-Indizes zogen kräftig an. Die Investoren griffen ebenfalls bei Staatsanleihen und Gold zu. Unter Druck geriet dagegen der Dollar-Index, der seine knappen Verluste ausbaute und um 0,7 Prozent auf 104,57 Punkte abrutschte.

"Der Rückgang der Preise an den Zapfsäulen hat im Mai die Inflationsrate merklich gedämpft, dies dürfte sich im Juni wiederholen", erwartet LBBW-Ökonom Dirk Chlench. Er verweist zugleich darauf, dass die Preise für das Wohnen im Mai zwar den vierten Monat in Folge mit einer Rate von 0,4 Prozent gegenüber dem Vormonat anzogen. Da aber die Kosten für andere Dienstleistungen teilweise gefallen seien, habe der Preisauftrieb im Servicebereich spürbar abgenommen. "Kurzum: Es gibt Entspannung an der Preisfront. Vor diesem Hintergrund dürfte die US-Notenbank im weiteren Jahresverlauf zweimal ihre Leitzinsen senken", prophezeite Chlench.

Viele hochrangige US-Notenbanker würden wohl eigentlich gern sehr bald die Leitzinsen senken, meinte NordLB-Analyst Tobias Basse. Zudem beginne die Politik immer klarer, größeren Druck auf die unabhängige Fed aufzubauen: "In einem gemeinsamen Brief fordern aktuell beispielsweise Elizabeth Warren und zwei weitere Senatoren, die Zentralbank in Washington solle sehr zügig das zu hohe Leitzinsniveau nach unten hin anpassen. Noch spricht das makroökonomische Preisumfeld in den USA aber recht klar gegen Zinssenkungen durch das FOMC", schrieb der NordLB-Experte.

(Geschrieben von Reinhard Becker, René Wagner, Klaus Lauer und Zuzanna Szymanska; redigiert von Thomas Seythal. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

- von Lucia Mutikani