FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 21. Januar 2016. Der massive Ölpreisverfall macht den Ölkonzernen immer mehr zu schaffen, die Aktienkurse fallen weiter. Einige Analysten raten jetzt zum Einstieg, andere rechnen mit weiteren Kursverlusten.

Am Ölmarkt kehrt keine Ruhe ein: Am gestrigen Mittwoch sind die beiden wichtigsten Ölsorten Brent und WTI auf den tiefsten Stand seit 2003 gefallen, der Preis für ein Barrel der Nordseesorte Brent rutschte zwischenzeitlich unter 28 US-Dollar. "Die Strategie von Saudi-Arabien, Ölanbieter mit höheren Produktionskosten aus dem Markt zu drängen, ist bisher gescheitert", bemerkt Jan Vrbsky von der Baader Bank. "Dazu kommt jetzt noch das Ende der Sanktionen gegen den Iran."

Einstiegschancen bei Ölaktien?

Die Aktien der Ölfirmen fallen und fallen, der Branchenindex Euro Stoxx 600 Oil & Gas, der europäische Öl- und Gasaktien enthält, hat seit Sommer 2014, als der Ölpreisrückgang einsetzte, mittlerweile über 40 Prozent an Wert verloren. Ob damit der Boden erreicht ist oder es noch weiter nach unten geht, ist umstritten.

So hat die Société Générale am Freitag vergangener Woche in einer Branchenstudie die Schätzungen für die Sektorgewinne im Jahr 2016 um 60 Prozent zurückgenommen. Für 2017 rechnet die Bank aber mit einer Ölpreisverdoppelung im Vergleich zum ersten Halbjahr 2016, ihr Votum für Ölwerte lautet daher auf Übergewichten. Konkret empfohlen wird zum Beispiel BP bei einem Kursziel von 375 britischen Pence.

Auch die UBS rät zum Einstieg bei BP. Die Schweizer Großbank hat die Gewinnprognosen 2016 und 2017 für die europäischen Ölkonzerne um bis zu 40,5 Prozent gekürzt, sie hält die Aktienbewertungen nach den Kursverlusten jedoch ebenfalls für attraktiv. Favoriten der Bank sind BG, Shell, Eni und Galp.

Ganze Branche unter Druck

Die Kursentwicklung der großen Ölkonzerne an den Börsen ist dramatisch: Die Chevron-Aktie (WKN 852552) ging vergangenen April zum Beispiel noch zu 102 Euro über den Tisch, jetzt sind es nur noch 72,20 Euro. "Dabei profitiert Chevron davon, eher im Raffineriegeschäft und weniger in der Produktion tätig zu sein", erklärt Roland Stadler von der Baader Bank. "Unternehmen mit Schwerpunkt Rohölförderung und -verkauf haben noch mehr zu leiden."

Die BP-Aktie (WKN 850517) ist von über 6,50 Euro im April 2015 auf aktuell 4,31 Euro gefallen. Damit nähert sie sich den Tiefstständen, die nach der Deepwater Horizon-Katastrophe 2010 erreicht worden waren. Auch die Total-Aktie (WKN 850727) hat kräftig Federn lassen müssen.

Keiner bleibt verschont

Royal Dutch Shell (WKN A0D94M) kann sich dem Strudel nach unten ebenso wenig entziehen. "Der bereinigte Gewinn von Shell ist vergangenes Jahr um die Hälfte gesunken", berichtet Vrbsky. Shell ist der erste Ölkonzern, der schon Zahlen für das Gesamtjahr 2015 bekannt gegeben hat. Reagiert wird mit Produktionskürzungen, Stellenstreichungen und niedrigeren Investitionen.

"Das Beispiel Shell zeigt die Schwierigkeiten der ganzen Branche auf." Da viele Investitionen über Kredite finanziert worden seien, würden nun Auswirkungen auf die Finanzbranche befürchtet. "Es ist ein großes Gespenst, das derzeit umgeht."

Noch härter getroffen hat es chinesische Werte. "Die Kurseinbußen sind immens", erklärt Walter Vorhauser von Oddo Seydler. So hat sich der Kurs des chinesischen Ölkonzerns Cnooc (WKN A0B846) seit vergangenem April mehr als halbiert. "Wir sind wieder auf den Niveaus von 2006 und 2007."

Doch nicht nur die Ölkonzerne selbst sind betroffen, auch Öldienstleister und Ausrüster spüren die Konsequenzen des billigen Öls. Der US-Öldienstleister Halliburton (WKN 853986) hat seit April rund 40 Prozent an Wert verloren. "Durch die Fusion mit Baker Hughes will Halliburton gegensteuern", erläutert Vorhauser. Auch Schlumberger, der weltgrößte Ausrüster für die Gas- und Öl-Exploration, hat zu kämpfen, die Aktie (WKN 853390) ist von knapp 87 Euro im April auf aktuell 55,60 Euro gefallen.

Wende kann noch dauern

Was die Aussichten der Ölkonzerne angeht, zeigt sich Goldman Sachs skeptischer als die Société Générale und UBS, BP wird zum Beispiel auf "Neutral" gestuft. Grundsätzlich bleibe das Überkapazitätenproblem im Ölsektor ungelöst, auf der Nachfrageseite seien im Moment China und die Schwellenländer die größten Risikofaktoren.

Investmentlegende Warren Buffett hat unterdessen seine Positionen in der Ölbranche ausgebaut und am 8. Januar Aktien des eher unbekannten petrochemischen Unternehmens Phillips 66 gekauft, das auch an der Börse Frankfurt gehandelt wird (WKN A1JWQU). Phillips 66 hat zuletzt zwar ebenfalls nachgegeben, kommt auf Zwölfmonatssicht aber immer noch auf ein deutliches Plus.

"Von ExxonMobil und ConocoPhillips hat sich Buffett wegen des Ölpreisverfalls aber bereits vor über einem Jahr getrennt", gibt Vorhauser zu bedenken. Er geht davon aus, dass der Ölpreis in der ersten Hälfte dieses Jahres noch weiter sinken wird. "20 US-Dollar sind möglich." Im zweiten Halbjahr werde es dann aber eine Erholung geben, die Gegenbewegung könne durchaus kräftig ausfallen. Der Grund: Die Konzerne würden irgendwann versuchen, den Preisverfall zu stoppen. "Am Dienstag hat Cnooc als erster großer Ölkonzern angekündigt, die Produktion senken zu wollen - das erste Mal seit über einem Jahrzehnt", erklärt Vorhauser. "Das könnte der Startschuss sein für weitere Produktionskürzungen."

von: Anna-Maria Borse

© 21. Januar 2016 - Deutsche Börse AG

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)