Als Kind saß ich nachmittags oft mit meinem Vater zusammen an seinem Schreibtisch. Er hat gearbeitet und mit dem Rotstift Kreditverträge abgezeichnet, ich habe neben ihm gemalt oder Schulaufgaben erledigt. Mein Vater war damals Vorstand der SchmidtBank, die Kredite an mittelständische Unternehmen vergab. Des Öfteren waren diese Unternehmer auch mal bei uns zu Hause zu Besuch - das fand ich immer superspannend. Ich wollte dann am liebsten die ganze Zeit dabeibleiben und zuhören, auch wenn ich damals noch kaum ein Wort von all dem Geschäftsdeutsch verstand.

Dass ich ein "Unternehmerkind" war, behielt ich in meinem Umfeld aber eher für mich. Unternehmertum war damals verpönt. Die meisten Kinder stammten aus Arbeiterfamilien und Unternehmer waren allgemein schlecht angesehen, nicht selten galten sie als Ausbeuter, die sich auf Kosten ihrer Angestellten bereicherten. Es herrschte ein richtiger Klassenkampf. Viele Unternehmer duckten sich deshalb weg und flogen unter dem Radar, wie man so schön sagt - damit waren sie weniger angreifbar. Das hat meiner Faszination für das Unternehmertum aber keinen Abbruch getan - im Gegenteil, daran hat sich bis heute nichts geändert. Das ist ein Thema, für das ich brenne und welches mir wirklich am Herzen liegt.

Doch was denken die Deutschen heute über Unternehmerinnen und Unternehmer und welches Image hat das Unternehmertum in unserer Gesellschaft? Diese Frage beschäftigt mich schon länger. Um sie zu beantworten, habe ich die puls Marktforschung beauftragt, einmal genauer zu untersuchen, wie unternehmerisch Deutschland eigentlich tickt. Das Marktforschungsinstitut hat im Oktober 2021, also mitten in der Corona-Pandemie, 2.700 Bundesbürger repräsentativ nach Alter, Geschlecht und Bundesland zu diesem Thema befragt. Und was soll ich sagen? Die Ergebnisse haben mich wirklich überrascht.

Deutschland schätzt Unternehmertum

Denn: Wir erleben gerade eine echte Zeitenwende, einen Wandel weg vom Klassenkampf, wie ich ihn aus meinen Kindertagen noch kenne, hin zu einer ernsthaften Wertschätzung des unternehmerischen Tuns. Mich hat vor allem beeindruckt, dass heute anerkannt wird, wie stark das Unternehmertum für den Wohlstand in unserem Land verantwortlich ist. So sagen 85 Prozent der Befragten, Deutschland braucht erfolgreiche Unternehmer, denn diese sorgen für Fortschritt und Wohlstand bzw. Arbeitsplätze, das gaben 78 Prozent bzw. 75 Prozent an. Und 65 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Unternehmer ein höheres Risiko eingehen und deshalb auch mehr verdienen dürfen. Diese Ergebnisse hätte ich so nicht erwartet, hier hatte ich mit deutlich weniger Zuspruch gerechnet.

Generation Z mit Gründergen

Dieser Wandel hin zu einer positiven Betrachtung des Unternehmertums allgemein trägt sicher auch dazu bei, dass immer mehr Menschen sich vorstellen können, sich selbstständig zu machen. Es herrscht ein regelrechter Gründergeist - das freut mich als dreifachen Gründer natürlich außerordentlich. Jeder vierte Befragte sagt, er könne sich die berufliche Selbstständigkeit für sich vorstellen. Bei den Jungen, bei der Generation Z, ist es sogar jeder Zweite. Das sind Zahlen, die mich wirklich begeistern. Standen früher Konzerne und Unternehmensberatungen ganz oben auf der Karrierewunschliste von Studierenden, so träumen heute viele junge Menschen, die mit Ausbildung oder Studium fertig sind, von Start-ups oder der eigenen Unternehmensgründung, auch mein Sohn Maximilian, er ist gerade 21 Jahre alt. In dieser Generation steckt ein echtes Gründergen. Und das ist gut, denn Deutschland braucht dringend mehr Unternehmerinnen und Unternehmer, davon bin ich überzeugt. Offenbar wächst da eine Generation nach, die das genauso sieht.

Doch was bewegt Menschen dazu, sich selbstständig zu machen? Ganz oben rangiert hier der Wunsch, eigene Ideen zu verwirklichen und mehr Geld zu verdienen. Bei den Jungen rangiert aber auch die Lust, das zu tun, worauf man Lust hat, weit vorn. 30 Prozent der Generation Z sagt zudem, sie möchte die Welt verbessern. Diesen Antrieb, die Welt ein bisschen besser zu machen, stelle ich auch bei meinen ältesten Kindern Maximilian und Johanna, 19, fest.

Woher kommt der Wandel?

Doch woher kommt dieser Wandel hin zu einem positiven Unternehmerbild und zu diesem neuen Gründergeist? Ich denke, dazu hat eine ganze Reihe von Faktoren beigetragen:

  • So schwappt die in den USA seit Jahren starke Gründer- und Start-up-Kultur mehr und mehr auch ins konservative Deutschland über.
  • Gründern und Start-ups stehen heute verschiedenste Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung, die es so früher schlichtweg nicht gab, z. B. Venture Capital oder Crowdfunding.
  • Der wirtschaftliche Erfolg deutscher Unternehmen, wie beispielsweise Biontech, inspiriert sicher auch den einen oder anderen Gründer.
  • Auch TV-Formate, die die Start-up-Kultur beflügeln und fördern, tragen zu einem steigenden Gründergeist bei, etwa "Die Höhle der Löwen".
  • Parallel dazu hat die Attraktivität von Großkonzernen und Beratungsunternehmen, die früher ganz oben auf den Karrierewunschlisten standen, spürbar nachgelassen.
  • Zudem ist die universitäre Lehre heute deutlich praxisnäher und macht damit mehr Lust aufs eigene Unternehmen.

German Angst als Hemmnis

Doch längst nicht jeder will sich selbstständig machen - gehemmt wird die Lust aufs eigene Unternehmen vor allem durch die Angst vor Verschuldung und vorm Scheitern. Als größte Herausforderung sehen die Befragten die Bürokratie und den bestehenden Fachkräftemangel. Das trifft den Nagel auf den Kopf, was mich ebenfalls überrascht hat, denn wir haben hier ja nicht Unternehmerinnen und Unternehmer, sondern die breite Bevölkerung gefragt.

Es ist nicht alles rosarot

Die Angst vorm Scheitern hält aber nicht nur davon ab, selbst zu gründen, sondern auch jene auf Trab, die bereits ein Unternehmen führen. Denn Gründen ist niemals eine Einbahnstraße, gerade in den ersten Jahren ist viel Durchhaltevermögen, Engagement und Disziplin erforderlich, man muss dranbleiben und nicht selten Strategie, Produkte oder Prozesse anpassen. So war es bei Consors, bei der Quirin Privatbank und bei quirion. Außerdem geht man als Unternehmerin oder Unternehmer viele Risiken ein und kann eben nicht nur ganz schnell ganz (erfolg)reich werden, sondern auch schnell tief fallen, das habe ich selbst erlebt. Zudem wächst die Verantwortung, die man den Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden sowie Geschäftspartnern gegenüber trägt, proportional mit dem steigenden Erfolg. Auch das ist eine Schattenseite des Unternehmertums.

Es fehlen deutsche Vorbilder

Welche Kernkompetenzen braucht ein idealer Unternehmer dann also, um all diese Herausforderungen zu meistern? Er sollte nach Angaben der Befragten fleißig, ausdauernd, mutig, kreativ, vorausschauend, zukunftsorientiert und lernfähig sein. Leider fehlt es hierzulande jedoch an echten Unternehmer-Vorbildern. Die Rangliste wird stattdessen von den Amerikanern dominiert, allen voran Elon Musk, Jeff Bezos oder Bill Gates. Deutsche Unternehmer wie Wolfgang Grupp und Dirk Roßmann finden sich erst deutlich weiter hinten auf der Hitliste der Vorbilder. Interessant finde ich, dass das Unterhaltungsformat "Die Höhle der Löwen" offenbar einige Vorbilder nach vorne gespült hat. So wurden beispielsweise einige der Juroren, die ja selbst Unternehmerin oder Unternehmer sind, genannt, z. B. Judith Williams und Ralf Dümmel. Auch solche TV-Formate scheinen Einfluss auf das Unternehmerbild allgemein zu haben.

Fazit

Diese Studie belegt eine erfreuliche Zeitenwende, das ist großartig. Dennoch glaube ich, dass das Thema auch ein wenig polarisiert. Viele junge Menschen können sich die berufliche Selbstständigkeit vorstellen, der eine oder die andere wäre sicher gerne Internet-Millionär, aber ein ebenfalls großer Teil will in eine ganz andere Richtung gehen. So träumen einer EY-Studie zufolge 26 Prozent von 2.000 befragten Hochschulabsolventen von einer Karriere im öffentlichen Dienst.[1] Ich kann dazu nur sagen: Go for it, wir können eine Verjüngung und Modernisierung des Verwaltungsapparates in Deutschland genauso dringend gebrauchen wie mehr Unternehmertum.

Seit 30 Jahren bin ich nun selbst als Unternehmer tätig und habe dabei alle Facetten unternehmerischen Tuns kennengelernt: Den erfolgreichen Aufstieg, den rasanten Absturz, das Wiederaufrichten und Weitermachen, das Ankämpfen gegen Vorbehalte und starke Lobbyverbände, aber eben auch den Erfolg, den ich mit allen drei Unternehmen erleben durfte und darf. Ich hatte über viele Jahre den Eindruck, dass Deutschland dem Unternehmertum gegenüber nicht wirklich wohlgesonnen ist. Oft wird hier nur darauf gelauert, dass jemand, der eine gute Idee hat und mutig genug ist, sie zu realisieren, scheitert. Dabei gehört Scheitern zu jedem guten Unternehmer dazu. In den USA gilt man erst dann als richtiger Unternehmer, wenn man mindestens dreimal gescheitert ist und daraus gelernt hat. Hier hat sich eine echte Zeitenwende vollzogen, was mich persönlich sehr glücklich macht. Dennoch wünsche ich mir für Deutschland zukünftig noch etwas mehr Unbeschwertheit im Umgang miteinander, wenn eine gute Idee einmal scheitert, denn das gehört zum Unternehmertum (meist) auch dazu.

Mein Vater hat mir damals an seinem Schreibtisch indirekt Lust aufs Unternehmertum gemacht und er hat mich bei der Gründung meines ersten Unternehmens unterstützt. Ich bin schon gespannt, ob und wann eines meiner Kinder mich um denselben Gefallen bitten wird - oder auch nicht, weil es das Gründen sogar ohne meine Hilfe schafft.

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

Wenn Kinder das Laufen lernen, geht das meist nicht ganz ohne Blessuren ab. Sie fallen hin, holen sich ein paar blaue Flecke, doch dann stehen sie auf und versuchen es immer wieder, und zwar so lange, bis sie laufen können. Mit anderen Worten: Lernen kann weh tun, ist aber für ein lebenslanges Vorankommen notwendig. Das ist vergleichbar mit einer Unternehmensgründung. Es geht darum, mutig zu sein, Dinge auszuprobieren, nicht aufzugeben und neue Wege zu gehen. Dabei lässt es sich kaum vermeiden, Fehler zu machen. Hören Sie dazu meinen Podcast "Was hat Unternehmertum mit Laufenlernen zu tun?".

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quirin Privatbank AG published this content on 04 February 2022 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 03 February 2022 14:10:04 UTC.