Von Olivia Bugault

PARIS (Dow Jones)--Aktien europäischer Fluglinien sind vergangenen Monat regelrecht abgehoben, nachdem Pfizer und Biontech über eine Wirksamkeit von mehr als 90 Prozent ihres Corona-Impfstoffs berichtet hatten. Bei vielen Beobachtern hat das die Hoffnung genährt, dass die Rückkehr zur Normalität quasi kurz bevor steht. Fluggesellschaften haben aber noch einen weiten Weg vor sich: Der Impfstoff ist kein Wundermittel. Zudem werden Airlines noch Jahre brauchen, um ihre Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen, warnen Analysten.

Die Luftfahrtbranche wurde von der Coronavirus-Pandemie massiv getroffen. Bis Ende Oktober hatten die Aktien von Air France-KLM im Vergleich zum Jahresanfang mehr als 70 Prozent ihres Wertes verloren. Am 9. November stiegen sie als Reaktion auf die Ankündigung von Pfizer und Biontech um 27 Prozent. Alle großen europäischen Airline-Aktien stiegen an diesem Tag: Die Aktie des Eigentümers von British Airways, die International Consolidated Airlines Group SA, legte um 25 Prozent zu, die Deutsche Lufthansa AG schloss fast 20 Prozent höher.

Seit Jahresbeginn sind die meisten Aktien großer europäischer Fluglinien jedoch immer noch um 40 Prozent oder mehr gefallen, da die Aussichten für den Flugverkehr weiterhin trübe sind. Laut Citi gingen die Flüge in der vergangenen Woche in Europa im Vergleich zum Vorjahreszeitraum immer noch um mehr als 70 Prozent zurück. Dies ist keine Überraschung, da der Kontinent unter einem erneuten Anstieg von Coronavirus-Fällen leidet, was zu erneuten Eindämmungsmaßnahmen einschließlich Sperren und Reisebeschränkungen geführt hat.


   Airlines immer noch im Überlebensmodus 

"Dies scheint der dunkelste Moment" für europäische Fluggesellschaften zu sein, meinten Analysten von HSBC im vergangenen Monat. Nach acht Monaten mit Flugverbot, Stellenkürzungen und -verlusten befinden sich die Fluggesellschaften immer noch im Überlebensmodus und haben für die Wintersaison nur eine sehr geringe Kapazität geplant.

Die Hoffnung, dass ein Impfstoff schließlich die Normalität wiederherstellen würde, half den Fluggesellschaften durch die vergangenen äußerst schwierigen Wochen.

"Es wird einen sehr starken Aufholeffekt bei den Flugreisen geben, sobald die Covid-Bedrohung zurückgeht oder Impfstoffe breiter verfügbar sind", so Ryanair-CEO Michael O'Leary Anfang November. Das werde hoffentlich im ersten und zweiten Quartal der Fall sein, so der Manager.

Investoren, Analysten und Luftfahrtbehörden begrüßten die Nachricht über die potenzielle Verfügbarkeit eines Impfstoffs bereits im Dezember. "Die jüngsten positiven Nachrichten über die Impfstoffentwicklung und das politische Engagement für Tests deuten auf eine frühere Erholung der Luftfahrt, eine frühere Öffnung von Langstrecken- und Geschäftsreisen und eine frühere Rückkehr auf das Niveau von 2019 hin", heißt es von HSBC.


   Erholung dauert Jahre 

Es gibt jedoch nach wie vor guten Grund, in diesem Sektor vorsichtig zu sein. Viele Analysten haben ihre langfristigen Prognosen aufgrund der Impfstoffnachrichten nicht geändert. Der Grund: Grundlage der Ausblicke war ohnehin, dass eine Impfung Anfang 2021 verfügbar sein würde. Die Fluggesellschaften werden noch Jahre brauchen, um sich vollständig zu erholen, meinen sie.

"Die Neuigkeiten (zu den Impfstoffen) sind keine Wunderwaffe, mit der die Nachfrage sich vollständig erholen wird in den nächsten drei bis sechs Monaten", warnte Citi-Analyst Mark Manduca. Die Ankündigung von Pfizer und Biontech sei aber ein offensichtlicher Schritt in die richtige Richtung. Es gebe nach wie vor Ungewissheit über den Impfstoff und darüber, wie weit er angenommen wird.

Zudem ist es schwer vorherzusagen, wann einzelne Märkte die Reisebeschränkungen aufheben werden. All dies bedeutet, dass noch völlig unklar ist, wie stark der Nachfrageanstieg in den kommenden Monaten ausfallen wird.

Klar ist dagegen, dass der Weg zur Erholung von dem Einbruch um 90 Prozent des Passagierverkehrs lang sein wird. Der Internationale Dachverband der Branche (Iata) bekräftigte trotz der Impfstoffnachrichten jüngst seine Prognose, wonach der Luftverkehr weltweit frühestens 2024 wieder das Niveau von 2019 erreichen wird.

Besorgniserregend sind auch die potenziell irreversiblen Veränderungen, die die Pandemie ausgelöst haben könnte. Ein dauerhafter Rückgang des Geschäftsreiseverkehrs ist sehr wahrscheinlich. Virtuelle Meetings sind zur neuen Regel geworden, und viele Unternehmen werden wahrscheinlich versuchen, die Reisekosten dauerhaft gegenüber dem Vorkrisenniveau zu senken.


   Lufthansa und Air France-KLM besonders betroffen 

Weniger Geschäftsreisen träfen besonders die traditionellen Airlines wie Deutsche Lufthansa und Air France-KLM. Sie setzen im Gegensatz zu den Billigfliegern wie Ryanair oder Easyjet stärker auf Geschäftsreisen und Interkontinentalflüge - auch hier dürfte die Erholung langsamer als in anderen Bereichen verlaufen.

Die Abhängigkeit von Geschäfts- und Interkontinentalflügen könnte die Erholung der traditionellen Airlines des Kontinents im Vergleich zu den Billigfliegern um mindestens zwei Jahre verzögern, schätzen Analysten der UBS. Die Billigflieger dürften demnach im Jahr 2022 wieder das Verkehrsniveau von vor der Krise erreicht haben.

Selbst wenn sich die Nachfrage nach Flügen schneller als erwartet erholt, werden Rekordverluste und ein während der Pandemie entstandener Schuldenberg die Ergebnisse der Fluggesellschaften auf Jahre hinaus belasten. Der Luftfahrtverband Iata schätzt, dass die europäischen Fluggesellschaften im nächsten Jahr Verluste in Höhe von 11,9 Milliarden Dollar verzeichnen werden. Die Kapazität dürfte nur noch halb so groß sein wie 2019. In diesem Jahr werden die Fluggesellschaften in Europa nach Iata-Schätzungen Verluste von insgesamt 26,9 Milliarden Dollar verzeichnen. "In den Geschichtsbüchern wird das Jahr 2020 das schlechteste Geschäftsjahr der Branche sein", so der Verband.

Nur dank der milliardenschweren Hilfszahlungen der Regierungen überleben die Airlines. Dieses Jahr würden die Fluglinien in der Summe 173 Milliarden Dollar Unterstützung erhalten, so Iata. Im Mai stimmte die Deutsche Lufthansa einem Rettungspaket in Höhe von 9,81 Milliarden Dollar zu, eines der größten Hilfspakete, das von einem einzelnen Land gewährt wurde.

Berenberg-Analyst Adrian Yanoshik rechnet damit, dass die Fluggesellschaft bis ins Jahr 2022 mit mehr als 600 Millionen Euro an zusätzlichen Finanzaufwendungen im Zusammenhang mit neuen Schulden und der Rückzahlung staatlicher Beihilfen belastet wird. "Die Fluggesellschaften werden die Last der höheren Schulden noch viele Jahre lang tragen", so Yanoshik.

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December 03, 2020 10:52 ET (15:52 GMT)