Von Benjamin Katz und Georgi Kantchev

LONDON (Dow Jones)--Für Russland sieht es bei der Wartung seiner Flugzeugflotten eng aus. Moskau hat nur begrenzten Zugang zu Teilen, Software und technischen Fähigkeiten, die für die kritischen Wartungsarbeiten an Hunderten von Verkehrsflugzeugen benötigt werden, wie eine Analyse des Wall Street Journal zeigt. Das weckt bei Führungskräften der Branche und den Aufsichtsbehörden bereits Sicherheitsbedenken.

In den Tagen nach Russlands Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 sperrten viele westliche Länder den Luftraum für russische Flugzeuge. Die USA und Europa verhängten außerdem eine Reihe von Sanktionen und Exportkontrollen gegen das Land, die die Lieferung von Teilen, Dienstleistungen und anderen Technologien für die russische Verkehrsflugzeugflotte verhindern.

Westliche Politiker erklärten, dass sie speziell auf diesen Sektor abzielten - eine wichtige Säule der russischen Wirtschaft, die in hohem Maße von westlicher Unterstützung abhängig ist. Doch die russischen Fluggesellschaften haben ihren Flugbetrieb aufrechterhalten und im vergangenen Jahr angesichts der lebhaften Nachfrage nach Inlandsflügen rund 95 Millionen Passagiere befördert.

Etwa 77 Prozent der russischen Flotte aus 696 in Dienst gestellten Flugzeugen besteht aus Maschinen von Boeing oder Airbus. Im Dezember erklärte die russische Zentralbank, dass 97 Prozent des gesamten russischen Passagierverkehrs mit westlichen Flugzeugen abgewickelt würden. Diese modernen Flugzeuge benötigen in der Regel häufige Software-Updates, Zugang zu Fehlersuch- und Wartungsanleitungen, qualifizierte Ingenieure und vor allem Ersatzteile, um veraltete oder defekte Komponenten zu ersetzen.


   Westen sperrt Russlands Zugang zu Wartungstechnologie 

Seit mehr als einem Jahr sind die russischen Airlines jedoch durch die Sanktionen der USA und Europas von jeglichen Kontakten mit Flugzeugherstellern, Wartungspartnern und vielen Zulieferern für die wichtigsten Teile - von Triebwerken bis zu Fahrwerken - abgeschnitten. Laut der Wall-Street-Journal-Analyse der russischen Passagierflugzeugflotte haben Hunderte von russischen Flugzeugen Meilensteine in der Wartung erreicht, ohne dass sie Zugang zu diesen Teilen hatten. Hunderte weiterer Flugzeuge sind in diesem Jahr für diese regelmäßig geplante Wartung vorgesehen. Die Checks müssen zu bestimmten Zeiten angesetzt werden, die sich nach den Flugstunden oder der Anzahl der Starts und Landungen richten. Sie können wochen- oder monatelange Ausfallzeiten mit sich bringen. "Ohne ordnungsgemäße Checks wird es schwieriger, Flugzeuge zu warten und in Betrieb zu halten", berichtet Karl Steeves, seines Zeichens CEO des Spezialisten für Flugzeugwartungssoftware Trustflight.

Russische Fluggesellschaften haben auch den direkten Zugang zu wichtigen Online-Handbüchern und Dokumentationen zur Fehlerbehebung verloren, die Boeing und Airbus ihren Kunden auf Abonnementbasis zur Verfügung stellen. Diese helfen den Fluggesellschaften, unerwartete Schäden zu beheben oder Flugzeuge außerhalb der geplanten Wartungsarbeiten ordnungsgemäß zu reparieren, so Steeves. Die Systeme der Flugzeuge werden regelmäßig mit Softwareverbesserungen aktualisiert, zu denen Russland ebenfalls keinen direkten Zugriff mehr hat.

In einem Interview mit der russischen Wirtschaftszeitung "RBK" im Dezember warnte der Chef von Aeroflot-Russian-Airlines PJSC, der wichtigsten internationalen Fluggesellschaft des Landes, sein Unternehmen verfüge nur über genügend Ersatzteile für die nächsten zwei bis sechs Monate. CEO Sergej Alexandrowski erklärte, die Flugsicherheit habe weiterhin oberste Priorität, und die Fluggesellschaft werde die Sicherheitsstandards weiterhin einhalten.

"Wir haben von ersten Fällen gehört, in denen Teile oder Komponenten fehlen oder einige der Flugzeuge nicht in der Lage sind, in der Luft zu bleiben", berichtet derweil Airbus-Chef Guillaume Faury. "Wir sind etwas besorgt darüber, wie die Flugzeuge funktionieren."


   Weißes Haus warnt die Türken 

Ein Airbus-Sprecher sagte, das Unternehmen halte sowohl die US-Exportkontrollvorschriften als auch die EU-Sanktionen bezüglich der Lieferung von Komponenten, Daten und Support an russische Fluggesellschaften ein. "Es gibt keine legale Möglichkeit, dass echte Flugzeugteile, Dokumentationen und Dienstleistungen an russische Fluggesellschaften geliefert werden können." Die Beschränkungen gelten auch für die Lieferung von Ausrüstung und Dienstleistungen an nicht-russische Unternehmen, die diese Teile an russische Partner weiterleiten wollen, so Airbus. Alle Zulieferer, Fluggesellschaften oder Wartungsunternehmen, die Airbus-Teile an russische Fluggesellschaften liefern, würden von der Kundenliste von Airbus gestrichen. Ein Sprecher von Boeing sagte, das Unternehmen habe Anfang 2022 die Lieferung von Teilen, Wartung und technischer Unterstützung an Fluggesellschaften und Wartungsbetriebe in Russland eingestellt.

Das Land hat keine Flugsicherheitsstatistiken für 2022 veröffentlicht. Die russische Presse meldet für die vergangenen zwölf Monate keine Todesopfer bei Unfällen mit Verkehrsflugzeugen. Das russische Verkehrsministerium und Aeroflot reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme.

Russische Fluggesellschaften haben auch keinen Zugang zu vielen der ausländischen Flughäfen, die sie vor dem Krieg für die Kontrollen hätten anfliegen können. Früher haben Spezialisten in anderen Ländern, darunter China, einige der Kontrollen für russische Fluggesellschaften vorgenommen. Nun weigern sie sich, da sie befürchten, von Geschäften mit den beiden größten Flugzeugherstellern der Welt ausgeschlossen zu werden. Russische Fluggesellschaften haben nach Strategien gesucht, um die Wartung zumindest für einen Teil ihrer Flugzeuge sicherzustellen, und dabei auch auf Drittanbieter in Ländern wie dem Iran und der Türkei zurückgegriffen, die Ersatzteile und Dienstleistungen anbieten. Im Januar warnte das Weiße Haus Vertreter der Türkei, dass türkischen Einzelpersonen Gefängnisstrafen, Geldstrafen, der Verlust von Exportprivilegien und andere Maßnahmen drohen, wenn sie Dienstleistungen wie Betankung und Ersatzteile für in den USA hergestellte Flugzeuge anbieten, die von und nach Russland und Weißrussland fliegen.

"Die russische Luftfahrt wird nicht verschwinden. Aber sie muss durch harte Zeiten gehen", meint Anastasia Dagajewa, eine unabhängige russische Luftfahrtanalystin. "Was kommt als Nächstes? Die Abkopplung von der globalen Versorgung mit Komponenten, IT, dem Erfahrungsaustausch, dem Wissenstransfer und der Branchenkommunikation."

(Mitarbeit: Kate Wtorigina)

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April 05, 2023 09:36 ET (13:36 GMT)