Von Kim Mackrael und Laurence Norman

BRÜSSEL (Dow Jones)--Europa will sich gegen Chinas wirtschaftliche Macht zur Wehr setzen und steht dabei bereits vor einer ersten Bewährungsprobe. Die EU-Kommission als Exekutiv-Organ der Europäischen Union hat am Dienstag eine Strategie zur wirtschaftlichen Sicherheit veröffentlicht, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, neue Kontrollen für europäische Investitionen in anderen Ländern zu erwägen, sofern diese mit einem Sicherheitsrisiko einhergehen könnten. Obwohl in dem Dokument keine konkreten Länder genannt werden, zielt es nach offiziellen Angaben vor allem darauf ab, die Risiken in den Wirtschaftsbeziehungen zu China und Russland zu verringern.

Europa verfolgt seit langem einen offenen und liberalen Ansatz für freien Handel und Investitionen. Doch Chinas wachsende Wirtschaftsmacht weckt auf dem gesamten Kontinent die Sorge, dass in dieser Strategie gegenüber geopolitischen Rivalen auch große Risiken stecken. Nun sucht die Union nach Möglichkeiten, diese Risiken einzudämmen, ohne eine Handelsbeziehung im Wert von rund 2,6 Milliarden US-Dollar pro Tag aufs Spiel zu setzen.

Ein von der EU am Dienstag veröffentlichtes Papier nennt einige der wichtigsten wirtschaftlichen Risiken, denen sich Europa derzeit gegenübersieht, darunter Unterbrechungen der Lieferketten und die Nutzung europäischer Technologie oder europäischen Wissens für militärische oder geheimdienstliche Zwecke eines anderen Landes.

Um diesen Risiken zu begegnen, fordert die neue EU-Strategie die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, die, falls sie umgesetzt werden, einen bedeutenden Wandel in der Herangehensweise des Blocks an Handel und Investitionen darstellen könnten. Dazu gehören die Möglichkeit neuer Kontrollen für bestimmte Arten von Investitionen in anderen Ländern und eine stärkere Koordinierung der Ausfuhrkontrollen für Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen können.

"Wir müssen sicherstellen, dass das Kapital europäischer Unternehmen, ihr Wissen und ihre Erfahrung sowie ihre Forschung nicht von bestimmten Ländern für militärische Anwendungen missbraucht werden", sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen. Ob die Mitgliedsstaaten, die dem noch zustimmen müssen, bereit sind, diese Forderungen zu unterstützen, bleibt ungewiss. Chinesische Politiker haben Europa bereits davor gewarnt, weitere Schritte zu unternehmen, die die Wirtschaftsbeziehungen beeinträchtigen könnten.

Die am Dienstag von der Union vorgestellte Strategie ändert nicht unmittelbar die Handels- oder Sicherheitspolitik der EU. Sie soll als Ausgangspunkt für Diskussionen zwischen den europäischen Ländern im Vorfeld eines Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs Ende des Monats dienen. Konkrete Entscheidungen werden möglicherweise erst im nächsten Jahr getroffen.

Mehr als ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges trifft Europa ebenso wie die USA kritische Entscheidungen über die Beziehungen zu China. Europäische Politiker haben ihre Besorgnis über Pekings Beziehungen zu Moskau und die Haltung gegenüber Russlands Bestrebungen geäußert. Durch die Finanzierung von Infrastrukturprojekten in Entwicklungsländern und den Anspruch auf Schlüsselpositionen in multilateralen Gremien strebe China nach globalem Einfluss. Die Politiker haben auch die Abhängigkeit der EU-Länder in bestimmten wirtschaftlichen und technologischen Branchen vom chinesischen Handel, den Lieferketten und Rohstoffen hervorgehoben.

US-Außenminister Antony Blinken, der diese Woche mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und anderen Amtsträgern zusammentraf, lieferte von der Leyen die Formulierung "Risiko abbauen, nicht abkoppeln", die seiner Meinung nach den Ansatz widerspiegelt, den viele Länder nun gegenüber China verfolgen.

Die EU hat mit den USA und anderen Verbündeten zusammengearbeitet, um aufgrund des Ukraine-Krieges eine Reihe von Exportkontrollen für Russland einzuführen, die sowohl militärische als auch zivile Güter mit doppeltem Verwendungszweck betreffen. Dennoch konnte Moskau weiterhin westliche Waren über Drittländern importieren. Die EU versucht nun, ein neues Sanktionssystem zu entwickeln, das einige Exportverbote auf Länder ausweiten könnte, die Russland bei der Umgehung der Sanktionen helfen.

Während der jüngsten Besuche hochrangiger chinesischer Politiker in Europa hat Peking Europa davor gewarnt, der "konfrontativeren Politik" der Vereinigten Staaten zu folgen. Die Besuche wurden diese Woche fortgesetzt, als Chinas neuer Ministerpräsident Li Qiang Regierungskonsultationen in Berlin abhielt und anschließend nach Frankreich weiterreiste.

Die deutsche Regierung bewegt sich wie viele andere europäische Länder auf einem schmalen Grat zwischen der Allianz mit den USA und der Notwendigkeit, die Handelsbeziehungen mit China zu erhalten. "Wir haben kein Interesse an einer Abkopplung", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz während Lis Besuch am Dienstag und bezog sich damit auf die Debatte über die Abkopplung der westlichen Volkswirtschaften von China.

"Wir sind sehr froh zu hören, dass eine Abkopplung weder machbar noch wünschenswert ist", sagte Fu Cong, Chinas Botschafter bei der EU, kürzlich vor Reportern in Brüssel. Aber er sagte auch, China sei besorgt darüber, wie weit die EU in ihrem Bestreben, wirtschaftliche Risiken zu reduzieren, gehen könnte. Europa sollte das Sicherheitskonzept nicht so weit strapazieren, dass es zu einem Hindernis für den offenen und freien Handel wird", sagte er.

Die EU hat bereits neue Handelsinstrumente entwickelt, die weltweit gelten, aber weithin als gegen China gerichtet angesehen werden. Auch die Kontrolle ausländischer Investitionen hat zugenommen. Nach Angaben des Beratungsunternehmens Rhodium Group gingen die chinesischen Auslandsinvestitionen in Europa 2022 gegenüber dem Vorjahr um 22 Prozent zurück und erreichten mit 7,9 Milliarden Euro den niedrigsten Stand seit 2013.

Ein vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten vereinbarter Mechanismus soll es leichter machen, gegen Länder vorzugehen, die versuchen, Handels- oder Investitionsbeschränkungen als Druckmittel einzusetzen. Neue Regeln für ausländische Subventionen werden es dem Block ermöglichen, chinesische und andere Unternehmen von bestimmten Übernahmen oder großen öffentlichen Aufträgen auszuschließen, wenn sie zuvor staatliche Unterstützung erhalten haben, welche die EU als wettbewerbsverzerrend ansieht.

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June 21, 2023 03:40 ET (07:40 GMT)