Berlin/Brüssel (Reuters) - Gegen die europäische Umweltagenda formiert sich in verschiedenen Ländern immer mehr Widerstand.

Noch sind die Auswirkungen in der Klima- und Energiepolitik nach Einschätzungen aus der Politik und von Analysten gering, weil viele Vorhaben etwa zur Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes bereits in Gesetze gegossen sind. Aber nationale Wahlen und die Neuwahl des Europa-Parlaments im Juni 2024 könnten Klima- und Umweltmaßnahmen gefährden. Dabei sind es nicht nur neue Parteien wie in den Niederlanden, die sich Proteste gegen schärfere Umweltauflagen zunutze machen für einen kometenhaften Aufstieg, oder die rechte AfD in Deutschland, die als Anti-Klimaschutz-Partei auf Stimmenfang geht. Auch die als mitte-rechts geltende Europäische Volkspartei (EVP) aus christlich-demokratischen Parteien wie CDU und CSU schlägt schärfere Töne an.

"Die Wahlen zum Europäischen Parlament werden sehr entscheidend sein, wenn man weiter in die Zukunft blickt, weil die Mitte-Rechts-Fraktion grüner Politik gegenüber negativer eingestellt ist", sagte etwa Mats Engström von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations. International gilt die Europäische Union (EU) zwar als Vorreiterin, weil sie Ziele für die Verringerung des CO2-Ausstoßes gesetzlich verankert und Maßnahmen zur Senkung der Emissionen vorgeschlagen hat.

Doch nun geht es darum, die Ziele in konkrete Maßnahmen umzusetzen, die über die Energieerzeugung hinausgehen und auch Bereiche wie Gebäude und Verkehr einbeziehen. Das stößt zunehmend auf Widerstand, den Analysten auch darauf zurückführen, dass vielerorts die Menschen mit steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen haben. In Deutschland etwa schlug das Gebäudeenergiegesetz für einen schnelleren Umstieg auf klimafreundliche Heizungen über Monate hohe Wellen. In den Niederlanden führte Protest über Pläne zur Verringerung der Stickstoffbelastung in der Landwirtschaft zu einem überraschenden Wahlsieg der neuen Protestpartei BBB.

EU-UMWELTKOMMISSAR: ANDERE UMSTÄNDE ALS IM JAHR 2019

"Es sind definitiv andere Umstände als im Jahr 2019, als wir mit dieser maximalen Unterstützung und der politischen Bereitschaft zum Handeln quer durch die Parteien begonnen haben", sagte der europäische Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir haben eine stabile Mehrheit, die den Green Deal unterstützt", sagte er mit Blick auf die Unterstützung des EU-Parlaments für die grüne Agenda insgesamt. "Aber dann kommen wir zu schwierigeren Themen, bei denen ich denke, dass sie unweigerlich von der politischen Debatte beeinflusst werden."

Die Regierungen einiger EU-Mitgliedstaaten wehren sich gegen neue Emissionsgrenzwerte für Autos und versuchen, die Schadstoffkontrollen in der Viehzucht zu lockern. Ein Vorschlag zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden stößt auf den Widerstand von Ländern, die sich über die Kosten Sorgen machen. Die polnische Regierung, für die im Oktober Wahlen anstehen, verklagt die EU sogar wegen der Klimapolitik und wirft ihr Bevormundung vor. "Will die EU autoritäre Entscheidungen darüber treffen, welche Art von Fahrzeugen die Polen fahren werden?", fragte Polens Umweltministerin Anna Moskwa jüngst.

Umweltmaßnahmen stoßen dabei nach Einschätzung der Direktorin der italienischen Denkfabrik für internationale Beziehungen (Istituto Affari Internazionali), Nathalie Tocci, auf noch größeren Widerstand als etwa Vorhaben zur CO2-Reduktion. Sie führt dies auf die Lobbyarbeit des mächtigen Agrarsektors und das Fehlen starker wirtschaftlicher Anreize für Veränderungen im Agrarbereich zurück. Die konservative EVP führte eine Kampagne gegen das EU-Vorhaben zur Naturwiederherstellung. Sie konnte das Renaturierungsgesetz zwar nicht verhindern, am Ende aber deutlich abschwächen.

EUROPA KÖNNTE BEIM AUFBAU GRÜNER INDUSTRIEN ZURÜCKFALLEN

Eine weitere Sorge gilt den Auswirkungen auf das diplomatische Ansehen Europas und das Vertrauen der Investoren, zumal die USA mit grünen Subventionen und Steuererleichterungen in zigfacher Milliardenhöhe locken. "Es ist schon etwas ironisch, dass Europa diese Probleme hat, während die Vereinigten Staaten endlich die Kurve kriegen", sagte Bob Ward, Direktor für Politik und Kommunikation am Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment an der London School of Economics and Political Science. Europa laufe Gefahr, beim Aufbau grüner Industrien und Technologien hinter Indien und China zurückzufallen: "Wenn Europa zögert, können andere Länder auf den internationalen Märkten für Elektrofahrzeuge und andere Technologien Vorteile erlangen."

Europas grüne Politik sei immer noch glaubwürdiger als die der USA, sagen einige Analysten. Die EU-Politiker müssten jedoch mehr auf die Sorgen der Bürger und Unternehmen eingehen, um sich deren Unterstützung zu sichern. Der niederländische Minister für Klima- und Energiepolitik, Rob Jetten, sagte im Juni zu Reuters, die größte Herausforderung für die nächsten Jahre bestehe darin, dass die Politiker zeigen müssten, dass der grüne Übergang auch ein gerechter Übergang sei, der den Bedürftigen Unterstützung biete. Eine Studie des deutschen Umweltbundesamtes untermauerte dies im August. "Wir haben zu wenig über die soziale Dimension gesprochen", sagte UBA-Präsident Dirk Messner.

Die Auseinandersetzungen über die grüne Politik haben die rechtspopulistischen Parteien sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland auf den zweiten Platz der Umfragen katapultiert. Das Debakel um das Heizungsgesetz habe gezeigt, wie wichtig es sei, dass Gesetze zum Schutz von Klima und Umwelt den Umstieg etwa auf neue Heizungen erleichterten, sagte SPD-Energieexpertin Nina Scheer: "Andernfalls könnten die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl bekommen, dass Klimapolitik immer finanziell überfordert und schlecht ist, und dieses Gefühl wird dann von Populisten ausgenutzt."

Als einen Schlüssel für mehr Rückhalt in der Bevölkerung für die Klima- und Umweltschutzpolitik sieht Simone Tagliapietra, Senior Fellow beim Think-Tank Bruegel, eine starke grüne Industriepolitik: "Wenn wir in Europa keine grünen Arbeitsplätze schaffen, wenn wir nicht sicherstellen, dass wir diese industriellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten haben, werden wir in Schwierigkeiten sein."

(Unter Mitarbeit von Anthony Deutsch in Amsterdam, Angelo Amante in Rom, Pawel Florkiewicz in Warschau, Susanna Twidale und William James in London; geschrieben von Holger Hansen; redigiert von Elke Ahlswede)

- von Sarah Marsh und Kate Abnett und Gloria Dickie