Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht für 2023 lediglich von einem schwachen deutschen Wirtschaftswachstum aus, das Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückwerfen dürfte. Der BDI rechnet in diesem Jahr mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts nahe der Nulllinie - also schwarze Null. Ein solches Miniwachstum ist weit entfernt vom Wachstum der Weltwirtschaft, dass der Internationalen Währungsfonds bei 2,8 Prozent sieht", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm auf einer Pressekonferenz zum Auftakt der Hannover Messe. "Im Vergleich zur Weltwirtschaft fallen wir also zurück."

Im Januar hatte der BDI für dieses Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent erwartet. Russwurm betonte, dass die große Lücke bei Fachkräften in Deutschland Grund zur Sorge sei. Dieser Fachkräftemangel und die hohen Energiepreise belasteten die Unternehmen sehr. Laut Russwurm ist das Investitionsverhalten kritisch. Die Produktionsverlagerung von energieintensiven Unternehmen aus Deutschland ins Ausland aufgrund der dortigen niedrigeren Energiekosten werde auch Folgen haben für Zulieferer und andere Unternehmen.

"Es startet mit den Energieintensiven, aber es bleibt bei denen nie stehen", warnte Russwurm. Deutsche Unternehmen überlegten es sich inzwischen drei Mal, wo sie investieren.


   Zweifel an Söders Vorstoß zu Atomkraft 

BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner reagierte aber zurückhaltend auf den Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), dass die Bundesländer über den Wettbewerb von Atomkraftwerken selbst entscheiden sollten. Gönner sagte, die Verfassung sehe dies aktuell anders vor und der Föderalismus könne nur das regeln, was die Verfassung nicht anderweitig regele. Sie vermute daher, dass solch ein Vorstoß aus Bayern "schon rechtlich scheitert".


   Industriepreis von 4 Cent "optimistische Rechnung" 

Mit dem Blick auf die mögliche Einführung eines Industriestrompreises, den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Vergangenheit bei etwa 4 Cent je Kilowattstunde gesehen hat, äußerte sich Russwurm zurückhaltend. Die Gespräche zum Industriestrompreis liefen offensichtlich innerhalb der Bundesregierung. Die deutsche Industrie könne sich vorstellen, dort stärker daran beteiligt zu sein.

Denn man müsse erst einmal darüber reden, wie die realistischen Kosten für dauerhaft, verlässlich verfügbaren Strom seien. Dann könne man drüber reden, ob die Kosten noch Zuschläge vertragen könnten oder ob Subventionen Sinn machten. "4 Cent halte ich für eine sehr optimistische Rechnung. Und wenn es um Subventionen geht, bin ich kritisch skeptisch, weil ich weiß, wer sie zahlt: der Steuerzahler nämlich. Dann sind die Unternehmen wieder in erste Linie mit dabei", sagte Russwurm.


   Mehr Gemeinsamkeiten als Streit in China-Politik 

Der Regierungskoalition attestierte Russwurm in ihrer China-Strategie mehr Gemeinsamkeiten als Streit. "Inzwischen redet niemand mehr von Decoupling", sagte Russwurm. "Ein Derisking ist inzwischen auch Konsens" zwischen den Parteien der Mitte geworden. Er sehe hier viele gemeinsame Positionen. Die Nuancen, die man bei den Parteien feststellt, schreibt Russwurm dem üblichen Wettstreit der Parteien zu.

Mit Blick auf die angestrebten weiteren Handelsabkommen in diesem Jahr wertete Russwurm die Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Eröffnung der Hannover Messe am Sonntagabend positiv. Allerdings warnte er davor, zu große Anforderungen an diese Vereinbarungen zu stellen.

"Es ist ... illusorisch und damit letztendlich schädlich für Handelsabkommen, das Attribut 'comprehensive' in Sinne einer umfassenden Übereinkunft in allen gesellschaftlichen Fragestellungen anzustreben", sagte Russwurm. "Solche Zielsetzungen, so moralisch positiv sie sein mögen, erschweren Verhandlungen. Sie vereiteln zügige Ergebnisse, sie schwächen damit deutsche Unternehmen legen der angestrebten Diversifizierung unnötige Stolpersteine in den Weg."

Daher sei mehr Pragmatismus nötig, wie etwa beim angestrebten Abschluss des Handelsabkommens der Europäischen Union mit den Mercosur-Staaten Lateinamerikas, forderte Russwurm.

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April 17, 2023 03:46 ET (07:46 GMT)