-- Hebestreit: Strategie einstimmig im Kabinett beschlossen

-- Baerbock: China bleibt Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale

-- Strategie setzt Rahmen für Politik der Ministerien

(NEU: Hebestreit, Wirtschaftsministerium, BDI)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Die Bundesregierung hat bei ihrer Kabinettssitzung ihre erste eigene China-Strategie beschlossen. "Das ist ein wichtiges außenpolitisches Vorhaben dieser Legislatur", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit bei einer Pressekonferenz in Berlin. "Der Umgang mit China ist eine der zentralen geopolitischen Herausforderungen." Die Strategie sei einstimmig im Kabinett beschlossen worden und trage "die Handschrift der gesamten Bundesregierung". Zentral seien ein Bekenntnis zur weiteren Zusammenarbeit mit China, ein Abbau von Risiken und eine Kooperation besonders beim Klimaschutz.

"Erstens wollen wir weiter mit China zusammenarbeiten und sprechen dabei auch schwierige Themen an", sagte er. Dies bedeute, "dass wir weiterhin an Verbesserungen für deutsche Unternehmen beim Zugang zum chinesischen Markt und auch an fairen Wettbewerbsbedingungen arbeiten." Zentral seien auch ein Abbau von Risiken ("De-Risking") und wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit ("Resilience").

"An der wirtschaftlichen Verflechtung mit China wollen wir festhalten, Abhängigkeiten in kritischen Bereichen wollen wir jedoch verringern", so Hebestreit. Man wolle sich nicht gegenüber China verschließen, sondern ausgewogene Partnerschaften in Asien aus- und aufbauen.

"Drittens brauchen wir China nicht nur, aber ganz besonders beim Klimaschutz", betonte der Regierungssprecher. Die Zusammenarbeit mit China als größten Emittenten von Kohlendioxid als auch größtem Produzenten erneuerbarer Energien wolle man insbesondere beim Klima-, beim Umwelt- und beim Biodiversitätsschutz ausbauen. "Ohne China wird die Menschheitsaufgabe des Klimaschutzes nicht zu bewältigen sein", betonte Hebestreit.

Ähnliches gelte beispielsweise in der Gesundheitspolitik oder bei der Schuldenrestrukturierung hoch verschuldeter Länder. Auch mache die Strategie eine "besondere Verantwortung" Chinas als ständiges UN-Sicherheitsratsmitglied deutlich. "China kann mehr Druck ausüben auf Russland, um den Krieg gegen die Ukraine zu beenden", betonte Hebestreit.


China als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale 

"Für Deutschland bleibt China Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale", betonte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in einer Rede beim Mercator Institute for China Studies in Berlin. "China hat sich in den letzten Jahren so rasant verändert wie vielleicht kein anderes Land", erklärte Baerbock zudem über den Kurznachrichtendienst Twitter.

"Wer China zuhört, weiß, mit welchem Selbstbewusstsein es die Entwicklung dieses Jahrhunderts prägen wird. Mit der China-Strategie geben wir uns für unsere Beziehungen den Kompass", hob sie hervor. "Wir wollen mit China zusammenarbeiten. Denn wir brauchen China, aber China braucht auch uns in Europa", hob sie hervor. Das gelte für die wirtschaftliche Entwicklung und fairen Wettbewerb wie für die Eindämmung der Klimakrise, die "nur zusammen mit China gelingen" könne.

Auch Baerbock betonte, es gehe nicht um eine Abkopplung von China, sondern "wir wollen unsere Risiken minimieren. Dazu gehört die Förderung unserer Wirtschaft in Europa genauso wie ein Abbau von Abhängigkeiten: Je diverser Handel und Lieferketten aufgestellt sind, desto widerstandsfähiger ist unser Land."

Die China-Strategie sei "Ergebnis unzähliger Gespräche" in Regierung, Bundestag, Kommunen, mit Wirtschaft, Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen und internationalen Partnern. "Jetzt kommt es darauf an, dass wir sie alle gemeinsam mit Leben füllen", sagte die Außenministerin.


Strategie setzt Rahmen für Ministerien 

Das Auswärtige Amt erklärte, die Strategie zeige "Wege und Instrumente auf, um angesichts des Wettbewerbs und der systemischen Rivalität die Zusammenarbeit mit China fortzusetzen, ohne unsere freiheitlich-demokratische Lebensweise, unsere Souveränität, unseren Wohlstand, unsere Partnerschaften mit anderen oder unsere Sicherheit zu gefährden". Sie solle den Rahmen setzen, innerhalb dessen die einzelnen Ministerien ihre Politik gegenüber China kohärent gestalteten, und die Grundlage für verstärkte chinapolitische Koordinierung in Deutschland, in Europa und darüber hinaus bilden.

"Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen bleiben ein wichtiger Bestandteil der bilateralen Zusammenarbeit mit China", betont die Regierung in der Strategie unter anderem. "Die Bundesregierung tritt dafür ein, dass sie fairer, nachhaltiger und reziproker werden."

China sei Deutschlands größter einzelner Handelspartner, wobei Abhängigkeiten Chinas von Europa stetig abnähmen, während Deutschlands Abhängigkeiten von China in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hätten. "Den Wettbewerb mit China nimmt Deutschland an", heißt es in der Strategie. "Deutschland und Europa stehen auch mit vielen anderen Partnern im Wettbewerb."

Wettbewerb nutze allen, wenn er auf fairen Regeln beruhe. "Es ist nicht unsere Intention, den wirtschaftlichen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung Chinas zu behindern", betont die Regierung. "Dennoch ist eine Minderung von Risiken (De-Risking) dringend geboten; eine Entkopplung unserer Volkswirtschaften (De-Coupling) lehnen wir hingegen ab." Die systemische Rivalität zeige sich darin, dass Deutschland und China in wichtigen Bereichen unterschiedliche Vorstellungen über die Prinzipien der internationalen Ordnung hätten.


Rivalität und Wettbewerb haben zugenommen 

"Verhalten und Entscheidungen Chinas führen dazu, dass die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in unserer Beziehung in den vergangenen Jahren zugenommen haben", heißt es in der Strategie. Dies bringe die Bundesregierung dazu, bilateral und im europäischen Kontext ihre Zusammenarbeit mit China und ihren Umgang mit den damit zusammenhängenden Herausforderungen neu zu kalibrieren.

Arbeiten an einer Reform des Investitionsprüfrechts seien "weit fortgeschritten", betonte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums zur Frage der Investitionsbedingungen für China. "Dieses Invesitionsprüfrecht wird natürlich die Konzepte und Abstraktionen der China-Strategie verwenden", sagte Sprecher Robert Säverin bei derselben Pressekonferenz wie Hebestreit.

Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Ulrich Lechte, nannte es einen "großen Erfolg", dass die Regierung erstmals eine China-Strategie habe. "Der Umgang mit der Volksrepublik China ist eine der größten politischen Herausforderungen unserer Zeit", sagte er.

"Einseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten dürfen uns gegenüber China nicht in unserer Handlungs- und Abschreckungsfähigkeit einschränken und angreifbar machen." China erwerbe gezielt und strategisch Knotenpunkte kritischer Infrastrukturen und versuche, mit teils fragwürdigen Methoden Zugang zu Forschung und Innovation zu erlangen. "Unsere Antwort darauf muss ebenso effektiv wie präzise sein", forderte er.

Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, erklärte, die Neuausrichtung der China-Strategie sei "lange überfällig" gewesen. "Es ist gut, dass sich die Bundesministerien auf einen gemeinsamen Kurs einigen konnten", betonte er. Es sei richtig, Lieferketten auf den Prüfstand zu stellen. "Nichts ist alternativlos."

Dementsprechend sei es auch richtig, "die Belastbarkeit der deutsch-chinesischen Brücke zu prüfen". Es wäre aber falsch, sie abzureißen. "Risiken zu minimieren bedeutet nicht, alle Geschäftsbeziehungen aufzugeben", meinte Jandura. Dafür seien die deutsche und die chinesische Wirtschaft auch viel zu verwoben.

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, betonte: "De-Risking aber kein De-Coupling - diese Strategie ist richtig. Sie adressiert geopolitische Risiken, betont aber gleichzeitig Deutschlands Interesse an substantiellen Wirtschaftsbeziehungen und an Kooperationen mit China zur Bewältigung globaler Herausforderungen." Es sei gut, dass die Strategie den europäischen Konsens zur Rolle Chinas als Kooperationspartner, Wettbewerber und Systemrivale bekräftige. Der BDI teile die Einschätzung der Regierung, dass in den vergangenen Jahren vor allem die Dimensionen des Wettbewerbs und der Systemrivalität immer deutlicher hervorgetreten seien. Trotzdem bleibe China als zweitgrößter Markt der Welt "ein absolut zentraler Wirtschaftspartner".

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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July 13, 2023 09:08 ET (13:08 GMT)