Von James Mackintosh

NEW YORK (Dow Jones)--Innerhalb von nur 24 Stunden kamen die Zentralbanken der drei weltgrößten Wirtschaftsblöcke vergangene Woche zu völlig unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Die Eurozone erhöhte die Zinssätze, die USA ließen sie unverändert und die Chinesen senkten sie. Für die Anleger gestaltet es sich immer schwieriger, die Weltwirtschaft zu verstehen - und für die US-Notenbank Fed dürfte es sich möglicherweise als schwieriger entpuppen, die Inflation einzudämmen. Der Grund für die entgegengesetzten Bewegungen ist, dass sich die Volkswirtschaften immer mehr an lokale Rhythmen anpassen. Europa steckt in einer technischen Rezession, aber die Währungshüter erwarten eine verfestigte Inflation. China hat kein Inflationsproblem, leidet aber unter den Nachwirkungen der ausgedehnten Corona-Lockdowns und der Immobilienblase. Der US-Wirtschaft geht es erstaunlich gut, und die Inflation ist zurückgegangen, aber der zugrunde liegende Preisanstieg bleibt hartnäckig hoch.

Die globale Divergenz hat bereits die Währungen ins Wanken gebracht. Chinas Yuan schwächte sich in diesem Jahr ab, was seine Exporte wettbewerbsfähiger machen, die Importe eindämmen und der chinesischen Wirtschaft helfen sollte. Außer wenn China wie 2009 oder nach dem Platzen der Aktienblase 2015 zu umfassenden Konjunkturmaßnahmen oder Interventionen greift, haben die Märkte des Landes ihren eigenen Rhythmus. Kapitalverkehrskontrollen und die Angst vor Enteignung führen dazu, dass sie nicht eng in globale Portfolios integriert sind.

Wichtiger für US-Investoren sind die Entwicklungen in Europa, wo die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England - die nächste Woche über ihren Leitzins entscheidet - von den Anlegern inzwischen als aggressiver eingeschätzt werden als die Fed. Das treibt ihre Anleiherenditen in die Höhe und drückt den US-Dollar gegenüber dem Euro und dem britischen Pfund Sterling nach unten. An sich sind solche Bewegungen genau das, was passieren soll. Der Sinn einer frei schwankenden Währung besteht darin, den Notenbanken die Freiheit zu geben, die Zinssätze entsprechend den Problemen ihrer eigenen Volkswirtschaften festzulegen. Das Problem liegt in der Empfindlichkeit der Anleger gegenüber einer Dollarschwäche und dem damit einhergehenden Vertrauensschub in die Märkte.


   Greenback und Aktienmärkte sind aktuell entgegengesetzt miteinander gekoppelt 

Die US-Amerikaner sind es nicht gewohnt, über ihre Investitionen in anderen Währungen nachzudenken. Die Rolle des Dollars als Weltreservewährung macht ihn zum Standard für die Messung von Werten und für globale Transaktionen. Aber der Greenback hat immer noch eine tiefgreifende Wirkung, nur eine, die den US-Anlegern oft entgeht. Wenn der Dollar klettert, sind die US-Bürger reicher, da sie mit demselben Geld mehr ausländische Waren kaufen können. Aber in letzter Zeit fühlen sie sich wahrscheinlich ärmer, da sich der Dollar und die Aktien in entgegengesetzte Richtungen bewegen. In der Vergangenheit waren die beiden nur in Krisenzeiten eng miteinander verbunden, wenn der Dollar als Zufluchtsort gekauft und Aktien wegen ihres Risikos abgestoßen wurden. Nach 2008 verstärkte sich die Beziehung zwischen Dollar und Aktien, und seit dem Beginn des Aktienausverkaufs im Jahr 2022 ist die Verbindung sogar noch stärker geworden. Die wöchentlichen Bewegungen des Dollars erklären etwa die Hälfte der Fluktuationen des S&P 500.

Man kann sich das so vorstellen, dass der Dollar, als die Fed die Zinsen anhob, stark zulegte, was den US-Aktien schadete. Doch dann machten die EZB und die Bank of England mit Zinserhöhungen ernst, der Dollar begann zu schwächeln, und die Hausse an den US-Aktienmärkten setzte ein. Sehen Sie die US-amerikanischen Aktien mit den Augen der Europäer: In Euro ausgedrückt sind sie weder um die 20 Prozent gefallen, die normalerweise als Baisse definiert werden, noch haben sie sich so stark erholt, dass sie in einer neuen Hausse sind. Das Drama lag in der Währung, nicht in den Aktien. Dies mag widersinnig erscheinen und macht es der Fed schwer. Grundsätzlich sollten höhere Zinsen in Europa die Nachfrage dämpfen, auch nach US-Exporten in die Region, und gleichzeitig die US-Renditen in die Höhe treiben, da einige Anleger in höher verzinsliche europäische Anleihen umsteigen. Beides dürfte schlecht für die US-Wirtschaft und für US-Aktien sein.


   Globale Finanzmärkte sind eng vernetzt 

Solange die Anleger jedoch an der Vorstellung festhalten, dass sich der Dollar und die Aktien in entgegengesetzte Richtungen bewegen, bedeutet allein der schwächere Dollar, dass sich die US-Aktionäre reicher fühlen. Daran ändert auch nichts, dass sie in Fremdwährung die gleiche Kaufkraft haben. Und Investoren, die sich reicher fühlen, neigen dazu, Kredite aufzunehmen und mehr Geld auszugeben, was die Wirtschaft ankurbelt - genau das Gegenteil der von der Fed gewünschten Verlangsamung. Außerdem wird dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der US-Produktion gesteigert, was ebenfalls die Wirtschaft unterstützt.

Ohne dass die Fed etwas unternimmt, könnten Zinserhöhungen in anderen Ländern der US-Wirtschaft Auftrieb geben. Der schwache Dollar hat auch anderswo eine kontraintuitive Wirkung. Da die Kapitalmärkte global vernetzt sind, viele Länder und Unternehmen Kredite in Dollar aufnehmen und viele große globale Investoren in Dollar denken, wirkt sich ein schwacher Greenback für alle positiv aus. Europäische Aktien in lokaler Währung und Schwellenländer ohne China sind fast genauso stark geklettert wie der S&P 500, als der Dollar schwächer wurde. Auch wenn die Volkswirtschaften und Zentralbanken divergieren, sind die meisten Kapitalmärkte nach wie vor eng integriert und mit einer gemeinsamen globalen Kraft verbunden: dem Dollar.

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June 16, 2023 05:21 ET (09:21 GMT)