Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Mit einem spektakulären Befreiungsschlag haben sich die Börsen zurückgemeldet. Auslöser waren die jüngst besser als erwartet ausgefallenen US-Verbraucherpreise. Anleger gehen nun nicht nur von keinen weiteren Zinserhöhungen in den USA mehr aus, an den Märkten werden nun für das erste Halbjahr 2024 sogar erste Zinssenkungen eingepreist. Der DAX reagierte auf das günstige zinspolitische Szenario mit einer Erleichterungrally. Es wäre allerdings nicht das erste Mal in diesem Zinszyklus, dass die Märkte ein zinspolitisches Tauwetter einpreisen, um dann auf den Boden der Realität zurückgeholt zu werden.

An den Anleihemärkten brachen die Marktzinsen nach den US-Daten regelrecht ein. Die vielbeachtete Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe ist auf aktuell 4,38 Prozent gefallen und notiert damit in der Zwischenzeit klar unter der psychologisch wichtigen Marke von 5 Prozent. Die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen hat sich mit nun 2,51 Prozent klar von der 3-Prozentmarke distanziert. Für die Aktienmärkte ist das eine positive Entwicklung, ist doch der Renditeabstand zwischen Dividenden- und Anleihemärkten signifikant zusammengeschmolzen, und damit hat ein wichtiges Kaufargument für Bonds zumindest an Kraft verloren.


   Börsianer schauen durch schwache Wirtschaftsdaten hindurch 

Dass es für die Wirtschaft in der Europa weiter nicht rund läuft, spielt für die Börsianer keine Rolle. Die in der kommenden Woche anstehenden Einkaufsmanagerindizes sollten unterstreichen, dass sich die Eurozone weiter auf Rezessionskurs befindet. "Die aufkommende Zinsfantasie dürfte die eher trüben wirtschaftlichen Aussichten kompensieren und die Anleger schon auf die Zeit nach der Rezession blicken lassen. Einmal mehr dürfte der Aktienmarkt der Realität vorauseilen, bis er irgendwann im kommenden Jahr wieder von ihr eingeholt wird", heißt es bei Robomarkets. Einzig blieben die geopolitischen Risiken, die Anleger mit dem Krieg im Nahen Osten und der Ukraine weiter auf dem Schirm haben sollten.

Allerdings spielen beide Konflikte an den Märkten zumindest aktuell nur noch eine Nebenrolle. Deutlich wird das an der Entwicklung des Ölpreises. Der Preis für das schwarze Gold bewegt sich eher Richtung 70 Dollar als 90 Dollar. Der Krieg in der Ukraine ist in Zwischenzeit zu einem Stellungskrieg geworden, und angesichts der sich abzeichnenden nachlassenden Unterstützung aus dem Westen für Kiev werden Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zunehmend wahrscheinlicher. Mit Blick auf den Nahen Osten ist aus Börsensicht vor allem wichtig, dass bislang eine Eskalation des Konflikts, etwa in Form eines direkten Eingreifens der USA, des Irans oder der Hisbollah ausgeblieben ist.

Die viel größere Gefahr für die Börsen geht von den Zentralbanken aus. Warnend heißt es bei der Deutschen Bank, dass die Finanzmärkte in den vergangenen zwei Jahren gleich sechs Mal eine taubenhafte Wende der Geldpolitik eingepreist und jedes Mal falsch gelegen hätten. Auch dieses Mal könnte es so kommen, denn gerade die letzten Meter der Inflationsbekämpfung sind voller Tücken - lockern die Zentralbanken zu früh, meldet sich die Inflation zurück, lockern sie zu spät, droht eine mögliche Rezession unnötig schmerzhaft zu werden. Ob die Märkte dieses Mal Recht behalten, wird erst die Zukunft zeigen.


   Charttechnische Lage hat sich aufgehellt 

Fundamental stützend für die Börsen ist neben der Entwicklung der Marktzinsen die gerade zu Ende gegangene Berichtssaison für das dritte Quartal. Diese ist insgesamt besser als erwartet ausgefallen, und auch die Ausblicke der Unternehmen waren nicht so pessimistisch wie im Vorfeld befürchtet. Zwar sind die Gewinnerwartungen der Unternehmensanalysten für die DAX-Aktien für die Jahre 2024 und 2025 nach Einschätzung der Commerzbank zu hoch. Aber auch hier wird sich das mit Sicherheit erst in Zukunft sagen lassen.

Eindeutig ist die Aufhellung der charttechnischen Lage im DAX. "Mit dem Sprung über die 200-Tagelinie leuchtet die Börsenampel dunkelgrün und einer Jahresendrally einschließlich neuer Rekorde steht zumindest aus technischer Sicht nichts im Weg", glaubt Robomarkets. Zunächst gilt es aber, aus der neuen Handelspanne zwischen 15.580 und 16.060 Punkten auszubrechen. Mit derzeit 15.930 Punkten nähert sich der DAX dem oberen Rand der Spanne. Ein direkter Durchmarsch ist allerdings nach der 1.000-Punkterally unwahrscheinlich. Der Index ist überkauft und eine technische Gegenbewegung wäre nicht nur normal, sondern täte dem DAX sogar gut.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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November 17, 2023 06:49 ET (11:49 GMT)