FRANKFURT (Dow Jones)--Der Weg für einen fortgesetzten Entspannungskurs an Europas Börsen ist frei. Das Zins-Thema ist dank der Erleichterung über die US-Inflationsdaten nun für anderthalb Wochen in den Hintergrund getreten. Erst auf der nächsten Sitzung der US-Notenbank dürfte es mit ihrem neuen Ausblick wieder auf den Tisch kommen. Wegen des geringeren Anstiegs der US-Verbraucherpreise (CPI) als befürchtet setzen Marktteilnehmer hier aber nicht mehr auf besonders falkenhafte Kommentare.

Eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte gilt für die nächste Fed-Sitzung als ausgemacht - über das Danach gehen die Meinungen nun aber weit auseinander. Dass der Zinsgipfel aber nun eher nah als weit ist, ist ebenfalls Konsens am Markt. Die Rendite der zehnjährigen US-Anleihen brach darauf ein von über 4 Prozent auf nunmehr um die 3,75 Prozent. Händler werten dies als Zeichen, dass Vermögensverwalter sich die Renditen über der 4er-Marke noch ganz schnell sichern wollten, bevor es wieder tiefer geht.


   Kursausschläge in Berichtssaison können heftig werden 

Für die Aktienmärkte ist damit ein sehr bullishes Signal verbunden. Denn wenn die Renditen nicht mehr steigen, haben auch die Aktienbewertungen ihren Boden gefunden. Anleger können sich damit endlich wieder auf die Gewinnaussichten der Unternehmen konzentrieren.

Entsprechend kommt der Start der US-Berichtssaison in der kommenden Woche zum richtigen Zeitpunkt. Das Interesse an den Börsenindizes als Barometer für den Gesamtmarkt dürfte damit für eine Weile nachlassen. In den Vordergrund treten nun wieder die Einzelunternehmen. Hier sollten sich Anleger auf kräftige Kursausschläge in die eine oder andere Richtung vorbereiten. Die Kursreaktionen auf Umstufungen durch Analysten zeigten bereits in den vergangenen Wochen, dass schon die Neubewertung von Erwartungen derzeit zu großen Anpassungen im Portfolio führt.

Umso heftiger dürfte daher die Marktreaktion ausfallen, wenn die Quartalsberichte der Unternehmen stark von den Erwartungen abweichen sollten. Kurseinbrüche von um die 9 Prozent nach schwachen Zahlen und Ausblicken von Nokia und Ericsson dürften daher symptomatisch für die Berichtssaison werden.

Auf der anderen Seite merken Vermögensverwalter positiv an, dass schon sehr viel Negatives in den Kursen eingepreist ist. So zeigten zum Beispiel die verhaltenen Reaktionen auf Gewinnwarnungen von BASF und Ems-Chemie, dass man den Chemie-Sektor damit nicht mehr überraschen kann.


   Nicht von Umsatzplus blenden lassen - Zusammensetzung entscheidet 

Ganz verabschieden können sich Anleger vom Zins-Thema aber auch nicht in der Berichtssaison: Denn auch die Unternehmensdaten dürften von den Anlegern darauf abgeklopft werden, inwiefern die jetzt zwar auf den ersten Blick positive Inflationsentwicklung ihre Spuren in den Margen der Unternehmen anfängt zu hinterlassen, betont Jürgen Molnar von Robomarkets: "Denn es darf nicht vergessen werden, dass viele von ihnen von den steigenden Preisen profitierten, weshalb die vergangenen Quartale auch einige positive Überraschungen bereithielten." Dieser Effekt könnte sich jetzt umkehren.

Marktbeobachter wiesen hier bereits anekdotisch auf Einzelunternehmen wie die schweizerische Barry Callebaut. Bei dem immerhin größten Schokoladenhersteller der Welt stiegen zwar die Umsätze in Währung gerechnet, jedoch nur aufgrund deutlich höherer Preise. Mit dem reinen Absatzvolumen ging es schon abwärts.

Sollte nun auch der Druck auf die Margen noch weiter steigen, sind die Gewinnaussichten nach oben gekappt. Um die Aktienbörsen weiter zu treiben, muss die Mehrheit der Unternehmen noch die Aussicht auf steigende Gewinne verkünden. Händler haben hier besonders bei Börsenschwergewichten wie Nestle und Unilever ihre Zweifel.


   Branchenauswahl entscheidend - Banken vorn, Autos hinten? 

Auch um die deutschen Autobauer macht man sich Sorgen und dürfte bei ihren Ausblicken sehr genau zuhören. Ebenso bei den Pkw-Neuzulassungen des europäischen Branchenverbandes Acea für Juni. Denn nach den zahlreichen Presseberichten über die Absatzprobleme von VW bei Privatkäufern wollen Anleger wissen, ob der Markt für Elektroautos tatsächlich Wachstum für Europas Hersteller bringt - oder ob es nur ein politischer Hype war, an dessen Ende China sämtliche Europäer in die Ecke drängt.

Bei Morgan Stanley sind die Analysten jedenfalls extrem skeptisch: Sie erwarten bis 2030, dass Chinas Hersteller den Europäern 30 Prozent der Marktanteile abnehmen werden. Ohne Kursgewinne der Auto-Aktien dürfte es der DAX aber schwer haben, weiter zu steigen.

Bessere Chancen macht Jarrid Klug, Fondsmanager der DWS, daher bei Bank-Aktien aus. Er rechnet hier im Gegensatz zu den US-Pendants in der kommenden Berichtssaison mit positiven Gewinnrevisionen. Insgesamt sieht er Europas Aktien aber als günstig an, der Bewertungsabschlag gegenüber US-Titeln sei nach wie vor hoch.


   Schlechte Konjunkturdaten dürften "gerne" vernommen werden 

Die Konjunkturdaten der kommenden Woche dürften weiter unter dem Aspekt ihrer Einwirkung auf Unternehmensgewinne interpretiert werden. So legt China am Montag das BIP zum zweiten Quartal vor. Nach dem jüngsten Einbruch der Import- und Exportdaten hoffen Marktteilnehmer auf möglichst schwache Daten. Denn damit erhöht sich die Chance, dass Chinas Notenbank am Donnerstag die Zinsen senkt oder andere Konjunkturpakete startet. Die Aktienmärkte dürften daher auf schwache BIP-Daten hin steigen.

Nicht schwach ausfallen dürfen indes die Einzelhandelsdaten aus den USA am Dienstag. Schließlich hängt zu viel an der Ausgabenfreude der Amerikaner. Bei den Inflationsdaten aus der EU am Mittwoch gilt jedoch wie üblich, je tiefer, desto besser.

Genau zuhören wird man am Freitag bei der Konjunkturprognose des deutschen Verbands der chemischen Industrie (VCI). Denn besonders nach den ganzen Gewinnwarnungen aus dem Sektor wünscht man sich, von ersten positiven Signalen zu hören. Und mit den Daten von SAP am Donnerstagabend besteht die Chance, sich mit guten Nachrichten aus einer Wachstumsbranche aus der Handelswoche zu verabschieden.

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July 14, 2023 07:33 ET (11:33 GMT)