MÜNCHEN (awp international) - Aktionärsschützer und grosse Investoren haben dem Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle auf der Hauptversammlung die Leviten gelesen. Sie unterstützten die geplante Fusion von Linde mit dem US-Gasekonzern Praxair zwar grundsätzlich als sinnvoll, äusserten aber die Sorge, dass die Linde-Aktionäre und die Beschäftigten dabei den Kürzeren ziehen. "Wir haben eher das Gefühl, dass wir uns ein bisschen unter Wert verkaufen", sagte Daniela Bergdolt, Vizepräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), am Mittwoch in München. Mehrere Banken kündigten an, Reitzle die Entlastung zu verweigern.

Linde-Vorstandschef Aldo Belloni will den Fusionsvertrag mit dem US-Gasekonzern Praxair "in den nächsten Wochen abschliessen". Man sei sehr gut vorangekommen und hoffe den Vertrag bis Ende Juni unterschreiben zu können.

Union-Investment-Manager Ingo Speich sagte: "Wir wollen die Fusion, aber nicht um jeden Preis." Sie verspreche "Grössenvorteile, höhere Gewinne und jährliche Synergien von einer Milliarde Euro". Aber "es darf nicht sein, dass unter hohem Zeitdruck Unternehmensteile verschleudert werden", nur um "den Deal schnellstmöglich durchzupeitschen". Die Alarmstimmung an den deutschen Linde-Standorten sei nachvollziehbar. Beschäftigte fürchteten um ihre Jobs, die Unsicherheit lähme den Konzern. "Selten wurde ein Konzern so ins Chaos gestürzt wie Linde durch die angestrebte Fusion mit Praxair", kritisierte Speich und kündigte an, Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern.

Bergdolt warf Reitzle vor, die Fusion "auf Gedeih und Verderb, auf Biegen und Brechen" voranzutreiben und Praxair zu grosse Zugeständnisse zu machen. Vielleicht gehe es gar nicht um industrielle Logik, sondern um sein Ego. Eine Hauptversammlung müsse über den Zusammenschluss entscheiden, die Zustimmung des Aufsichtsrats allein reiche nicht. Die DSW behalte sich eine Klage vor.

Hendrik Schmidt von der Vermögensverwaltung der Deutschen Bank bezweifelte eine Fusion unter Gleichen. Praxair-Chef Steve Angel soll den neuen Konzern aus den USA heraus führen, die Holding soll in Dublin angesiedelt werden. Die profitable Gase-Sparte könnte durch kartellrechtlich notwendige Verkäufe geschwächt werden. Auch Schmidt verweigerte der Linde-Spitze die Entlastung und forderte eine Abstimmung über die Fusion auf einer Hauptversammlung.

Belloni wies diese Forderung zurück. "Im Rahmen des vorgesehenen Umtauschangebots kann jeder Linde-Aktionär eigenständig und direkt entscheiden, ob er das Angebot annimmt oder seine Beteiligung an der Transaktion verweigert", sagte er. Für ein Zusammengehen beider Unternehmen müssten aber mindestens 75 Prozent der Linde-Aktionäre ihre Aktien tauschen. Bei Praixair muss eine Mehrheit auf der Hauptversammlung der Fusion zustimmen. Die 100 grössten Linde-Aktionäre halten 69 Prozent der Linde-Aktien und zugleich 42 Prozent der Praxair-Aktien.

Reitzle sagte, ein "Zerwürfnis" im Vorstand habe den gescheiterten ersten Anlauf für eine Fusion im vergangenen Sommer belastet. Der Finanzvorstand und Fusions-Gegner Georg Denoke habe deshalb gehen müssen. Der damalige Vorstandschef Wolfgang Büchele schied kurz darauf ebenfalls aus.

Winfried Mathes von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka sagte, Reitzle lasse Köpfe rollen und ziehe die Fäden wie in der Augsburger Puppenkiste. Aber die Fusionsbemühungen seien keine Glanzleistung und die Information der Aktionäre eine Katastrophe. Daniel Bauer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sprach von einem "dilettantischen Schauspiel".

Belloni sagte, die 8000 Linde-Mitarbeiter in Deutschland seien bis Ende 2021 vor Kündigungen geschützt. Gewerkschaften und Betriebsrat fürchten aber einen massiven Stellenabbau und den Verlust der Mitbestimmung. Der bayerische IG-Metall-Chef Jürgen Wechsler sagte am Mittwoch: "Die beste Lösung für Linde wäre, die Fusion jetzt abzusagen, bevor es zu spät ist."/rol/mne/fbr