BERLIN (dpa-AFX) - Deutschland hat der kriegsgeplagten Ukraine im Verbund mit internationalen Partnern umfassende Hilfen für den Winter und den Wiederaufbau zugesagt. Die Perspektive ist eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine. "Wenn wir die Ukraine wiederaufbauen, dann tun wir das mit dem Ziel der Ukraine als EU-Mitglied im Kopf", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag auf einem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal sagte, die Ukraine werde die Bedingungen für schnelle Investitionen schaffen.

Die Folgen der russischen Angriffskrieges

Genau vor acht Monaten überfiel Russland die Ukraine. Die Ukraine verteidige die Werte Europas, sagte Schmyhal. Scholz sagte der Ukraine erneut weitere militärische Hilfe zu, insbesondere zum Schutz von Angriffen aus der Luft. Man werde die Ukraine so lange unterstützen, wie es nötig sei.

Der russische Angriffskrieg hat neben viel menschlichem Leid tiefe Spuren auch in der ukrainischen Wirtschaft hinterlassen. Die aus der Ukraine per Video zugeschaltete Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko sagte, man rechne in diesem Jahr mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 30 Prozent.

In einem Papier der bundeseigenen Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade & Invest zur Ukraine heißt es, nach acht Monaten Krieg kämpften die Unternehmen an vielen Fronten gegen den Niedergang. "Produktionsanlagen sind zerstört, es fehlen Fachkräfte, die Stromversorgung fällt häufig aus, und die Logistik bleibt massiv gestört. Wichtige Wirtschaftszentren liegen in den okkupierten Gebieten, vor allem die Montanindustrie und Kraftwerke." Die Ukraine stecke in einem "Teufelskreis" aus Rezession und hoher Inflation.

Hilfen für die Ukraine für den Winter

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, Russland ziele darauf, mit Angriffen auf die Energieinfrastruktur die Ukraine weiter zu destabilisieren und die Menschen aus dem Land zu treiben: "Kalte Wohnung, kein Wasser, kein Strom." Deshalb habe "akute Winterhilfe" nun absoluten Vorrang. Der Ukraine müsse kurzfristig geholfen werden, um den Winter zu überstehen. Es gehe zum Beispiel um Generatoren, Transformatoren und Netzreparaturen.

Ein "Marshallplan" soll kommen

Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprachen sich in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für einen "Marshallplan" für die Ukraine aus - das sei eine Generationenaufgabe, die sofort beginnen müsse. Mit dem "Marshallplan" hatten die USA zwischen 1948 und 1952 mit Milliarden US-Dollar den Wiederaufbau in Deutschland und anderen europäischen Staaten finanziert.

Um den sehr teuren Wiederaufbau zu organisieren, ist eine internationale Allianz geplant. Genau deswegen hat Scholz zusammen mit von der Leyen als aktueller Präsident der G7-Runde der sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächte am Dienstag zu einer internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine eingeladen.

Scholz betonte den Weg der Ukraine in die Europäische Union, bisher ist das Land Beitrittskandidat. Die Verkehrsinfrastruktur sowie der Logistik- und Transportsektor müssten so aufgebaut werden, dass das Land problemlos an die EU angebunden werden könne.

Die Beitrittsperspektive solle auch als Signal an private Investoren verstanden werden. "Wer heute in den Wiederaufbau der Ukraine investiert, der investiert in ein künftiges EU-Mitgliedsland, das Teil sein wird unserer Rechtsgemeinschaft und unseres Binnenmarkts", sagte Scholz. Er appellierte an die ukrainische Regierung, die Rahmenbedingungen für Investitionen ihrerseits weiter zu verbessern. Er nannte mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Transparenz und einen noch entschiedeneren Kampf gegen die Korruption. Der ukrainische Ministerpräsident Schmyhal versprach, die Bedingungen für schnelle Investitionen zu schaffen.

Schmyhal bezifferte die Kosten des Wiederaufbaus auf nahezu 750 Milliarden US-Dollar (764 Milliarden Euro) - nach derzeitigem Stand. Er hob aber auch die wirtschaftlichen Stärken seines Landes hervor. Er nannte unter anderem die Gasvorkommen, die IT-Infrastruktur und die Landwirtschaft.

Deutsche Wirtschaft will sich engagieren

"Wir werden die Ukraine nicht im Stich lassen", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian. "Wir brauchen schnellstmöglich Klarheit, wie der Handel mit in der Ukraine dringend benötigten Produkten abgesichert werden kann. Dazu gehören unter anderem Produkte des täglichen Bedarfs, der Medizintechnik und der Gesundheitswirtschaft insgesamt." Ein besonderes Augenmerk müsse dabei auf Güter für die Instandsetzung der zerstörten Infrastruktur im Bereich Energie-, Strom- und Wasserversorgung gelegt werden. Neben der akuten Nothilfe sei auch eine langfristige Perspektive notwendig, so Adrian. Dazu brauche die Ukraine einen belastbaren Kapitalfonds durch die internationale Geber-Gemeinschaft.

Für den Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft sagte dessen stellvertretender Vorsitzende Hans-Ulrich Engel, viele deutsche Firmen seien bereit, sich für den Wiederaufbau zu engagieren. Mit den Vorbereitungen könne nicht bis zum Ende des Krieges gewartet werden. Für Investitionen in der Ukraine bräuchten Firmen ein "passgenaues Sicherheitsnetz". Habeck verwies auf bestehende staatliche Instrumente zur Exportabsicherung, dazu gebe es direkte Zuschüsse. Engel sagte, Ausschreibungen in der Ukraine müssten zügig gehen, und es brauche unbürokratische Genehmigungsverfahren. Die Umsetzung von EU-Rechtsstandards würde Investitionen erleichtern./hoe/DP/nas