--GDV: Sektor hat sich 2023 gut behauptet

--Verhaltener Optimismus für 2024

--Verband sieht politischen Handlungsbedarf

(NEU: Weitere Angaben von Pressekonferenz)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Versicherungswirtschaft hat sich vergangenes Geschäftsjahr laut ihrem Branchenverband gut behauptet und blickt mit verhaltener Zuversicht auf das Beitragswachstum im Jahr 2024. "Insgesamt sind wir für das laufende Jahr optimistisch. Aller Voraussicht nach werden die Menschen mit steigenden Nominallöhnen und nachlassender Inflation wieder mehr Geld in der Tasche haben", sagte der Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Norbert Rollinger. "Für 2024 rechnen wir daher mit einem positiven Wachstum. Über alle Sparten hinweg dürfte die Branche um 3,8 Prozent wachsen."

Die Versicherer verbuchten 2023 über alle Sparten hinweg ein Beitragsplus von 0,6 Prozent auf 224,7 Milliarden Euro, wie der GDV weiter mitteilte. "Bedenkt man die schwierigen Rahmenbedingungen wie die globalen Unsicherheiten, können wir mit dem Ergebnis von 2023 durchaus zufrieden sein", sagte Rollinger bei der Jahresmedienkonferenz des Verbandes. "Für das aktuelle Geschäftsjahr sind wir sogar etwas optimistischer."

Das Geschäft mit Lebensversicherungen wurde 2023 laut GDV durch die schwierige gesamtwirtschaftliche Lage sowie die schwache Entwicklung der realen Löhne und der damit einhergehenden Konsumzurückhaltung belastet. Vor allem das Einmalbeitragsgeschäft sei davon betroffen gewesen. Die laufenden Beiträge hätten sich robust entwickelt. Insgesamt gingen die Beitragseinnahmen bei den Lebensversicherern laut dem Verband um 5,2 Prozent auf 92,0 Milliarden Euro zurück.


Ende des Rückgangs in Sicht 

Im laufenden Jahr erwartet der Verband aber ein besseres Umfeld für die Lebensversicherung. "Die höheren Zinsen verbessern die Ertragskraft der Unternehmen, die steigende Überschussbeteiligung erhöht die Attraktivität der Produkte und die realen Einkommen dürften weiter anziehen, während die Inflation abnimmt", sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Gleichzeitig sei davon auszugehen, dass die Zentralbanken ihre Zinsen zumindest bis Mitte des Jahres auf dem derzeitigen Niveau belassen, womit kurzfristige Anlagen attraktiv gegenüber langfristigen Anlagen wie Rentenversicherungen blieben. "Unterm Strich erwarten wir ein Ende des Rückgangs und eine stabile Beitragsentwicklung", so Asmussen.

In der Schaden- und Unfallversicherung war das zurückliegende Jahr geprägt laut GDV von nachgelagerten Anpassungen an Schadensaufwendungen wie zum Beispiel Baukosten oder gestiegene Preise für Autoreparaturen. Zwar verbuchte die Sparte ein Beitragswachstum von 6,7 Prozent auf 84,5 Milliarden Euro. Aber der Schadenaufwand legte mit 12,7 Prozent deutlich stärker zu als die Beitragsentwicklung. Allein in der Kfz-Versicherung ergebe sich durch die gestiegenen Preise ein versicherungstechnischer Verlust von rund 2,9 Milliarden Euro. "Jedem eingenommenen Euro standen Ausgaben von 1,10 Euro gegenüber", so Rollinger. Insgesamt sei der versicherungstechnische Gewinn der Sparte um mehr als die Hälfte auf rund 1,5 Milliarden Euro zurückgegangen.

Für dieses Jahr prognostiziert der GDV in der Schaden- und Unfallversicherung Beitragszuwächse von 7,7 Prozent. "Vor allem die Entwicklung in der Kfz-Versicherung wird voraussichtlich von Nachholeffekten geprägt sein", sagte Rollinger. "Auch steht zu befürchten, dass die Reparaturkosten weiter steigen werden. Daher rechnen wir hier mit einem Beitragszuwachs von 10 Prozent für 2024." In der Privaten Krankenversicherung erhöhten sich die Beitragseinnahmen 2023 laut GDV um 2,3 Prozent auf 48,2 Milliarden Euro. 42,6 Milliarden Euro entfielen davon auf die Krankenversicherung - ein Plus von 1,3 Prozent. In der Pflegeversicherung stiegen die Beiträge insbesondere wegen Leistungsausweitungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung um 10,3 Prozent auf 5,6 Milliarden Euro.


Verband sieht politischen Handlungsbedarf 

Im Fokus hätten auch zwei zentrale Themen für den Verband gestanden: die geplante Reform der privaten und betrieblichen Altersvorsorge und der Schutz vor Wetterextremen. Nachdem 2023 mit der Fokusgruppe beim Bundesfinanzministerium Bewegung in die Debatte um eine Reform der geförderten privaten Altersvorsorge gekommen sei, werde für diesen Sommer ein Gesetzgebungsverfahren erwartet. "Altersvorsorge ist weitaus mehr als Vermögensaufbau. Es wäre kontraproduktiv, die lebenslange Rente aufzugeben", betonte Asmussen. Auch bei der betrieblichen Altersvorsorge sehe der GDV Handlungsbedarf. So sollten Sozialpartnermodelle für weitere Unternehmen geöffnet werden.

Mit Blick auf die jüngsten Hochwasserereignisse betonte Asmussen, Länder und Kommunen hätten bei Prävention und Klimafolgenanpassung große Defizite. "Viele Probleme vor allem beim Hochwasserschutz sind hausgemacht und hätten durchaus verhindert werden können." Asmussen nannte erstmals Schadenzahlen zu den Überschwemmungen in Nord- und Mitteldeutschland rund um Weihnachten: "Nach unserer Schätzung liegen die versicherten Schäden bei 200 Millionen Euro."

Eine Pflichtversicherung für Elementarschäden, wie sie derzeit von vielen politischen Entscheidungsträgern gefordert wird, lehne der GDV weiter ab. "Wer weiß, dass einem die anonyme Gemeinschaft der Versicherten von allen Hausbesitzenden hier dann etwaige Schäden bezahlt, der hat ja gar keinen Anreiz mehr, auch selbst etwas zu tun", betonte Rollinger. "Wir sind deswegen kritisch bei einer Pflichtversicherung. Wofür wir aber ganz klar eintreten, ist eine möglichst flächendeckende Versicherung zu risikogerechten Preisen, damit hier auch dieser Präventionsgedanke bei jedem Einzelnen bleibt und der Versicherungsschutz auch bezahlbar bleibt." Der Verband befürworte die Umsetzung eines durchdachten Gesamtkonzepts, das verschiedene gut aufeinander abgestimmte Schritte beinhalte.


Österreich und Schweiz weit voraus 

Drei Maßnahmen halte die Versicherungswirtschaft jetzt für dringend notwendig. Erstens keine neuen Gebäude in ausgewiesenen Gefahrengebieten, und zweitens gehörten Prävention und Klimafolgenanpassung in die Landesbauordnungen. "Und drittens: Die öffentliche Hand sollte über ein bundesweites Naturgefahrenportal die Gefahrenlagen klar benennen", sagte Rollinger. "Nur, wenn die Gefahren transparent sind, werden die Verantwortlichen Präventionsmaßnahmen umsetzen. Andere Länder wie Österreich und die Schweiz sind uns hier um Jahre voraus."

Rollinger und Asmussen warnten zudem im aktuellen gesellschaftlichen Klima vor einer Unterstützung von Verfassungsfeinden. "Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation darf nicht dazu führen, verfassungsfeindliche Parteien und Gruppierungen zu unterstützen", sagte der GDV-Präsident. "Die Politik muss den Enttäuschten allerdings ein Angebot machen und zugleich zeigen, dass unsere Demokratie handlungsfähig ist", forderte er. Gleichzeitig müsse die Demokratie aber auch wehrhaft gegen Extremisten und Verfassungsfeinde jeder Art sein. Nur offene und vielfältige Gesellschaften könnten die Grundlage für nachhaltiges Wirtschaftswachstum sein.

Wer immer den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union fordere, schade dem Standort Deutschland und den Bürgern massiv, sagte Rollinger. "Ein solches Programm ist schlecht für Wirtschaft, Wohlstand und Wachstum." Asmussen betonte: "Die AfD und ihr Programm ist demokratiefeindlich, es ist verfassungsfeindlich, und es schadet dem Standort Deutschlands." Dies habe er bereits erklärt, "schon lange bevor es flächendeckende Demonstrationen gab, lange bevor es ein Treffen in Potsdam gab, das sich mit Remigration beschäftigt hat", hob der GDV-Hauptgeschäftsführer hervor.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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January 25, 2024 05:16 ET (10:16 GMT)