Stepanakert/Eriwan (Reuters) - Nach dem Sieg des aserbaidschanischen Militärs in Bergkarabach verlassen ethnische Armenier zu Tausenden die Kaukasus-Region.

Die armenische Regierung bezifferte die Zahl am Montag auf mehr als 6650 Menschen, die zunächst in Armenien angekommen seien. Insgesamt wird die Zahl der ethnischen Armenier in Bergkarabach auf 120.000 geschätzt. Die Regierung in Eriwan erwartet früheren Angaben zufolge eine Flüchtlingswelle. "Niemand kehrt zurück - das war's", sagte Anna Agopjan am Montag in der armenischen Grenzstadt Goris der Nachrichtenagentur Reuters. "Ich glaube, das Thema Karabach ist jetzt endgültig durch."

Die Führung von Bergkarabach sagte den Ausreisewilligen Unterstützung zu. Ihnen werde kostenloser Treibstoff zur Verfügung gestellt, teilten die Behörden der selbst ernannten Republik Arzach mit. In deren Hauptstadt Stepanakert waren Menschen zu sehen, die ihre Habseligkeiten in Busse und auf Laster luden. Männer und Frauen standen Schlange, um in Busse nach Armenien zu steigen. Viele hatten Kinder dabei. Bergkarabach liegt in Aserbaidschan. Auf den Straßen, die von dort nach Armenien führen, bildeten sich Staus. Aserbaidschan hatte zugesagt, die Rechte der ethnischen Armenier in dem Gebiet zu respektieren. Diese befürchten jedoch, unterdrückt zu werden.

Bergkarabach hatte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion von Aserbaidschan losgesagt, was international aber nicht anerkannt wurde. Die ethnischen Armenier in Bergkarabach kontrollierten mit Hilfe der armenischen Regierung drei Jahrzehnte lang weitgehend die Region. Aserbaidschan startete dann am Dienstag vergangener Woche einen breit angelegten Militäreinsatz. Einen Tag später stimmten die Armenier in Bergkarabach notgedrungen einer Feuerpause zu. Bei dem Vorstoß sollen Hunderte Menschen getötet und verletzt worden sein, darunter auch Zivilisten.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte sich Armenien in dem regionalen Streit auf Russland verlassen. Aserbaidschan wiederum näherte sich der Türkei an. Das Außenministerium in Moskau erklärte am Montag, Armenien habe sich die Niederlage selbst zuzuschreiben, weil es sich dem Westen zugewandt habe. Unterdessen empfing der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew seinen türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan in der autonomen Exklave Nachtschiwan, die durch armenisches Gebiet von dem Rest von Aserbaidschan getrennt ist. Alijew beklagte anschließend das Fehlen einer Verbindung zwischen den beiden Regionen. Er hatte 2021 deren Einrichtung in Spiel gebracht "ob es Armenien gefällt oder nicht".

(Bericht von: Guy Faulconbridge, Lidia Kelly. Andrew Osborn und Nailia Bagirova; geschrieben von Sabine Ehrhardt, Christian Rüttger und Scot W. Stevenson, redigiert von Kerstin Dörr; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)