- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Bei Siemens brummt das Geschäft.

Die Kunden bestellen - auch aus Angst vor längeren Lieferzeiten - ungewöhnlich viel und treiben den Auftragseingang des Münchner Technologieriesen in ungeahnte Höhen. Wegen Lieferengpässen in der jüngsten Welle der Corona-Pandemie kommt Siemens mit der Produktion aber kaum hinterher, wie Vorstandschef Roland Busch am Donnerstag vor der virtuellen Hauptversammlung sagte. Es werde einige Quartale dauern, bis der Auftragsstau abgearbeitet sei. Chips und andere Bauteile dürften über das Ende des Geschäftsjahres 2021/22 (Ende September) hinaus knapp bleiben.

Trotzdem lagen Umsatz und Gewinn von Oktober bis Dezember deutlich über den Erwartungen der Analysten. Finanzvorstand Ralf Thomas stellte eine Erhöhung der Gewinnprognose für Anfang Mai in Aussicht. Das trieb die Siemens-Aktie um fast sechs Prozent nach oben. Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe sieht die Zahlen als Bestätigung für die Strategie: "Ich kann mir keinen besseren Start vorstellen für Siemens als fokussiertes Technologie-Unternehmen." Buschs Vorgänger Joe Kaeser hatte die renditeschwache Energietechnik an die Börse gebracht und mehrere Randbereiche zur Disposition gestellt. Portfoliomanagerin Vera Diehl von Union Investment sieht den Vorstandschef dadurch aber auch unter Druck: "Weil es keine Ausreden gibt, wenn man im Kerngeschäft nur noch Perlen im Portfolio hat", sagte sie in einer Video-Botschaft an die virtuelle Hauptversammlung.

"Unsere Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass wir Vorreiter sind, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu beschleunigen", sagte Busch bei der Präsentation der Quartalszahlen. Die Kunden investierten angesichts der Transformation ihrer Märkte in neue Auto- und Batterie-Fabriken, Halbleiter- und andere Anlagen, die mit Siemens-Technik ausgerüstet werden. Der Auftragseingang schnellte im ersten Quartal um 42 Prozent oder 8,3 Milliarden Euro nach oben, getrieben von Fabrik-Automatisierung, Elektro-Produkten und ICE-Zügen.

Die längeren Lieferzeiten machen Busch Kopfzerbrechen, wie er erstmals einräumte: "Gleichwohl gibt es Verzögerungen bei der Auslieferung mancher Produkte an Kunden." Der Konkurrenz gehe es aber nicht anders. Siemens könne auch höhere Preise durchsetzen und Inflationseffekte damit an die Kunden abwälzen - wenngleich mit Verzögerung. "Wir glauben, dass wir in dieser kritischen Situation auch Marktanteile gewinnen können."

MILLIARDEN AUS DEM VERKAUF VON RANDGESCHÄFTEN

Im ersten Quartal kletterte der Umsatz auf vergleichbarer Basis um neun Prozent auf 16,5 Milliarden Euro, das Ergebnis aus dem industriellen Geschäft um zwölf Prozent auf 2,5 Milliarden Euro. Unter dem Strich blieb ein um 20 Prozent höherer Gewinn von 1,8 Milliarden Euro. Siemens bekräftigte die Prognose eines Umsatzzuwachses von fünf Prozent. Der Auftragseingang soll bis Ende September stärker zulegen als der Umsatz, auch wenn sich die Nachfrage wieder normalisiere. Finanzvorstand Thomas sieht aber Potenzial, dass Siemens im Gesamtjahr das obere Ende der Gewinnprognose erreicht oder sie noch übertrifft. Er hat bisher ein Ergebnis je Aktie von 8,70 bis 9,10 (Vorjahr: 8,32) Euro in Aussicht gestellt.

Wie viel es werden kann, werde nach dem zweiten Quartal klarer sein, sagte der Finanzchef. Denn das hängt auch davon ab, ob Siemens die erwarteten Milliardengewinne aus dem Verkauf von Randgeschäften noch in diesem Geschäftjahr verbuchen kann. 600 bis 800 Millionen Euro erwartet Siemens allein aus dem im Januar vereinbarten Verkauf der Straßenverkehrstechnik-Tochter Yunex an den italienischen Infrastrukturkonzern Atlantia. Am Mittwoch hatte Siemens den Zuschlag für das brummende Geschäft mit Post- und Paket-Sortieranlagen für 1,15 Milliarden Euro an den Hamburger Maschinenbauer Körber gegeben. Das könnte bis zu eine Milliarde Euro Gewinn bringen.

MEHR ZEIT FÜR AUSSTIEG BEI SIEMENS ENERGY

Aus dem defizitären Gemeinschaftsunternehmen Siemens Valeo eAutomotive für Antriebe von Elektroautos steigt der Konzern bis Juli aus. Der französische Autozulieferer Valeo zahlt 277 Millionen Euro für den 50-Prozent-Anteil von Siemens. Rote Zahlen schreibt auch die frühere Energietechnik-Tochter Siemens Energy, an der Siemens noch 35 Prozent hält. Mit einer weiteren Reduzierung des Anteils, die eigentlich bis März auf 25 Prozent sinken sollte, will sich Busch wegen des schwächelnden Kurses mehr Zeit lassen - "im Sinne der Aktionäre". Der frühere Siemens-Manager Jochen Eickholt soll die spanische Windkraft-Tochter Siemens Gamesa nun sanieren, "ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", findet Busch.

Weitere Abspaltungen oder größere Übernahmen seien nicht geplant, betonte Busch. Für einen Verkauf vorbereitet wird aber bereits die Sparte Large Drives, die mit rund 7000 Mitarbeitern Elektromotoren, Umrichter und Generatoren produziert. "Schluss mit der Ausgliederitis" forderte Olaf Bolduan, Vorsitzender des Belegschaftsaktionärs-Vereins "Wir für Siemens". Die IG Metall rief Hunderte Beschäftigte bei Large Drives in Berlin und Nürnberg für Donnerstag zu Kundgebungen auf - unter dem Motto "Die Hütte brennt".