Börsen-Zeitung: Scholz will es wissen / Kommentar von Angela Wefers
zur Kanzlerkandidatur von Bundesfinanzminister Scholz
   Frankfurt (ots) - Der Jahresauftakt dient den Parteien 
traditionell zur Ortsbestimmung. Die CSU geht seit Jahren zu diesem  
Zeitpunkt in  Klausur - früher in Kreuth, nun  ins Kloster Seeon. Die
Liberalen pflegen regelmäßig den Diskurs am Dreikönigstag. 
Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat sich die 
"Bild"-Zeitung ausgesucht, um seinen Führungsanspruch in der SPD 
öffentlich zu machen. Dass Scholz sich das Amt des Bundeskanzlers 
zutraut, ist nun  kein Geheimnis mehr. Die  Zeit drängt für die SPD, 
ihre Richtung zu klären und ihr Profil zu schärfen. In den 
Umfragewerten liegt sie mit rund 15% auf einem historischen 
Tiefststand. Von den Werten einer Volkspartei, die sie bleiben will, 
ist sie weit entfernt.

   Das Jahr 2019 wird parteipolitisch sehr bewegend. Als wichtigste 
Abstimmung steht die Europawahl am 26. Mai an. Die Wahl gilt als 
Nagelprobe für die Kraft der Volksparteien - und auch für die Zukunft
der großen Koalition in Berlin. Am selben Tag wird  die Bürgerschaft 
in Bremen neu gewählt. Zudem stehen ebenfalls zu diesem Datum 
weitreichende Kommunalwahlen an: in den fünf ostdeutschen 
Bundesländern sowie in Hamburg, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz 
und im Saarland. Anfang September sind die Landtage in Brandenburg 
und Sachsen neu zu besetzen, Ende Oktober das Landesparlament in 
Thüringen. Schließlich wird es im Herbst 2019 auch zur 
Bestandsaufnahme bei Schwarz-Rot im Bund kommen, wie es im 
Koalitionsvertrag festgelegt ist. Von Kurskorrektur  bis zum Bruch 
ist derzeit alles möglich, wenn sich die anhaltende  Unzufriedenheit 
der Wähler mit der Bundespolitik in den  Wahlergebnissen auf den 
verschiedenen anderen Ebenen zeigen sollte.

   Die Frage der Kanzlerkandidatur ist für die SPD theoretisch 
derzeit nicht wichtig. Sie steht aber für die Frage, wer die Führung 
in der Partei innehat - bezogen auf Inhalte und Machtanspruch. Dies 
zu klären, drängt allerdings sehr, vor allem seit Parteivorsitzende 
Andrea Nahles durch ihren Zickzackkurs in der Affäre Maaßen  
geschwächt ist. Hält die große Koalition nicht bis zum Ende der 
Legislaturperiode 2021, muss die SPD präpariert sein. Mehr noch, die 
SPD hätte bei einer ungeklärten Führungsfrage gar nicht die 
Möglichkeit, aus der Koalition auszusteigen, selbst wenn es 
strategisch richtig wäre. Die CDU ist mit der neuen 
Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer besser vorbereitet. 
Scholz will es wissen. Ob sein zurückgenommenes hanseatisches 
Naturell  die Seele der Partei wärmen kann, wird sich erweisen. Der 
Wettstreit dazu ist eröffnet.

   (Börsen-Zeitung, 8.1.2019)

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