BERLIN (Dow Jones)--Die Bundesregierung geht für dieses Jahr von einem Wachstum des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 3,0 Prozent aus und senkt damit ihre Prognose vom Oktober 2020 um 1,4 Prozentpunkte. Das geht aus dem Jahreswirtschaftsbericht mit dem Titel "Corona-Krise überwinden, wirtschaftliche Erholung unterstützen, Strukturen stärken" hervor, den das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin verabschiedete. "Der Aufschwung geht auch in 2021 weiter, wenn auch mit weniger Dynamik", sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) anlässlich der Vorstellung der neuen Prognose.

Dabei zeichne sich ein gespaltenes Bild. "Während sich die Industrie aktuell weiter robust zeige, ist der Dienstleistungssektor stark betroffen", erklärte Altmaier. Zwar mache die jüngste Abflachung der Corona-Infektionszahlen Hoffnung. "Die Lage ist aber weiter ernst, die Gefahr der Virus-Mutante noch nicht ausgestanden. Wir dürfen daher das Erreichte nicht leichtfertig verspielen." Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer betonte, die Corona-Pandemie stelle Unternehmen und Bürger vor große Herausforderungen. Die Bundesregierung habe "mit umfangreichen fiskalischen Maßnahmen auf diese Herausforderungen reagiert".


   Altmaier plant viertes Bürokratieentlastungsgesetz 

Für Altmaier selbst geht es neben der Krisenbewältigung nun "insbesondere um einen attraktiven Standort, Fachkräftesicherung, Digitalisierung und den Klimaschutz". In dem Bericht nennt er zudem "eine möglichst niedrige Belastung mit Bürokratie, Steuern und Abgaben" als Ziel. "Steuererhöhungen wären Gift für die Wirtschaft und gerade in der jetzigen Situation das völlig falsche Signal!" Um Investitions- und Beschäftigungsanreize setzen, müssten die Sozialversicherungsbeiträge dauerhaft unter 40 Prozent stabilisiert werden. Außerdem kündigte Altmaier ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz ein. Dazu soll eine hochrangige Arbeitsgruppe entsprechende Vorschläge ausarbeiten.

Sofern sich die Corona-Lage entspannt, könnte die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung der Bundesregierung im Jahresverlauf wieder an Fahrt gewinnen. Laut dem Bericht wird die Arbeitslosenquote im Jahr 2021 leicht um 0,1 Prozentpunkte auf 5,8 Prozent zurückgehen, die Zahl der Beschäftigten dürfte durchschnittlich 44,8 Millionen betragen. Allerdings wurden bislang auch rund 23 Milliarden Euro für Kurzarbeitergeld ausgezahlt, wodurch ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert wurde.


   Steigende Löhne erwartet 

Deutlich zulegen sollen demnach die privaten Konsumausgaben - hier wird ein Plus von 3,6 Prozent erwartet, nach einem drastischen Rückgang um 6 Prozent im vergangenen Jahr. Auch bei den Ausrüstungsinvestitionen soll nach dem Absturz um 12,5 Prozent 2020 nun ein Plus von 6,5 Prozent stehen. Die Inlandsnachfrage steigt laut dem Bericht auf 3,1 Prozent, nach minus 4,1 Prozent im Vorjahr.

Für die Arbeitnehmer erwartet die Bundesregierung nach dem Rückgang um 0,4 Prozent nun steigende Bruttolöhne - und zwar um 3,0 Prozent. Auch die Exporte sollen um 6,4 Prozent zulegen, nachdem sie infolge der Pandemie und des Lockdowns um 9,9 Prozent eingebrochen waren. Die Bundesregierung setze sich auch weiter für offene Märkte und ein starkes Europa ein, heißt es in dem Bericht.


   Mittelstandsverband: Vorschläge sind "eine politische Nullnummer" 

Der Mittelstand zeigte sich jedoch unzufrieden und nannte den Jahreswirtschaftsbericht "überflüssig". Dieser sei "nicht nur eine Enttäuschung", sondern "eine politische Nullnummer", erklärte der Bundesgeschäftsführer des Mittelstandsverbands BVMW, Markus Jerger. "Gerade jetzt wären Orientierung und verbindliche Eckpunkte erforderlich, davon hängt eine positive ökonomische Weiterentwicklung ganz wesentlich ab." Aber von einer Zukunftsagenda sei nichts zu sehen. "Das Papier ist ein Katalog unverbindlicher Absichtserklärungen und eine Auflistung von Altbekanntem." Mit Blick auf die geplante Arbeitsgruppe Bürokratieabbau frage sich Jerger, welchen Sinn der bereits 2006 gegründete Nationale Normenkontrollrat dann überhaupt noch habe.

Der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer (CDU), mahnte Entlastungen und mehr Flexibilität an. Langfristig brauche es jetzt gezielte strukturelle Weichenstellungen, etwa vollumfänglich verkürzte und dauerhaft digitale Planungs- und Genehmigungsverfahren. "Mehr Tempo braucht es außerdem bei der Digitalisierung der Verwaltung, der digitalen Infrastruktur sowie den Investitionen in Zukunftstechnologien wie Wasserstoff", so Pfeiffer.

Die Linke erklärte, Unsicherheit sei Gift für die Wirtschaft. Altmaier und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müssten das Versagen beim Impfstoff daher endlich angehen, forderte Fraktionsvize Fabio De Masi. Jede Woche Lockdown koste rund 2,5 Milliarden Euro. Außerdem bekräftigte der Finanzpolitiker seine Forderung nach einem Aus der Schuldenbremse. Wer an dem Instrument festhalte, müsse sagen, "wo er Investitionen und Sozialstaat kürzen will, ohne die Wirtschaft ins Koma zu versetzen", so De Masi.

(Mitarbeit: Andreas Kissler)

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January 27, 2021 08:30 ET (13:30 GMT)