Berlin (Reuters) - Wirtschaftsminister Robert Habeck will Deutschland mit einem Sofortprogramm und dem rasanten Ausbau Erneuerbarer Energien wieder auf Klimakurs bringen.

"Wir starten nicht auf der Ziellinie, sondern mit einem gehörigen Rückstand", sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Berlin. Die Klimavorgaben von 2021 bis einschließlich 2023 würden wohl verfehlt. Daher werde die gesamte Regierung an zahlreichen Stellen ansetzen. "Es ist eine große politische Aufgabe. Aber eine, die für das Land eine enorme Chance bereitet." Man werde Planungen beschleunigen und wieder Innovationsland. "Wir sind voller Energie, die sich täglich erneuert, weil wir an diesem großen Projekt arbeiten können." Aus der Wirtschaft kam Zustimmung, aber auch die Warnung, die hohen Energiepreise nicht aus dem Blick zu verlieren. Die FDP betonte, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit müssten gewährleistet bleiben.

Deutschland hat sich international verpflichtet und unter der vorigen Regierung auch per Gesetz festgelegt, dass die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken müssen. Bis 2045 darf sogar praktisch gar kein Treibhausgas mehr ausgestoßen werden. Auf konkrete Instrumente dafür konnte sich die alte Regierung nicht mehr verständigen. Habeck sagte, nach derzeitigem Stand werde man so nur 50 Prozent Minderung bis 2030 erreichen. Die Ampel-Regierung peilt daher einen Kohle-Ausstieg schon 2030 an, will dafür das Ausbau-Tempo von Wind- oder Solarenergie verdreifachen und bis dahin 15 Millionen E-Autos auf die Straße bringen.

ERSTES SOFORTPROGRAMM BIS OSTERN

Bis Ostern soll das Bundeskabinett dafür laut Habeck ein erstes großes Gesetzespaket beschließen, damit es nach Billigung in Bundestag und Bundesrat ab 2023 wirken kann. Im Mittelpunkt steht der beschleunigte Neubau von Wind- und Solarkraftwerken. Bis 2030 soll die Solar-Kapazität auf 200 Gigawatt mehr als verdreifacht werden, was unter anderem durch eine Solar-Pflicht auf neuen Gewerbedächern erreicht werden soll. Für Haus-Neubauten soll es die Regel werden. Staatssekretär Patrick Graichen sagte Reuters, zunächst würde die Förderdauer für Investoren in Wind- und Solaranlagen wohl wie bisher bei 20 Jahre bleiben. Der Zeitraum würde so bis über 2040 hinaus reichen, wo praktisch keine fossilen Kraftwerke mehr laufen dürften.

Als besonders schwierig gilt der Ausbau der Windenergie an Land, der unter anderem wegen Widerstands von Anwohnern und Artenschützern zeitweise fast zum Erliegen kam. Schon 2023 sollen laut Habeck nun Windräder an Land mit einer Leistung von fünf Gigawatt ausgeschrieben werden. Das wäre etwa soviel wie in Rekordjahren in Deutschland. In den folgenden Jahren würden sich diese Mengen bis 2027 noch auf zehn Gigawatt verdoppeln.

Für den Ausbau der erneuerbaren Energien sollen zwei Prozent der Fläche Deutschlands reserviert werden. Habeck räumte ein, dies werde Debatten unter anderem mit den Bundesländern aber auch mit dem Bundesumweltministerium geben. Um die Verfahren zu beschleunigen soll ein "überragendes öffentliches Interesse" gesetzlich verankert werden. Habeck sagte, er sei offen dafür, dass nicht jedes Bundesland strikt zwei Prozent Fläche reservieren müsse. Es könne auch Abkommen geben, wonach ein Land mehr zur Verfügung stellt und dafür von einem anderen Land, das weniger leistet, an anderer Stelle eine Entschädigung bekommt.

Für Konfliktstoff dürfte die Frage des Erdgas-Einsatzes sorgen: Habeck räumte ein, man brauche nach dem Atom-Ausstieg und zum schnelleren Verzicht auf Kohle neue Gaskraftwerke. Ob es eine Verdopplung der Gas-Leistung sei - wie Experten berechnen - müsse noch geprüft werden. Gas-Kraftwerke werden zum Ausgleich für die schwankende Versorgung mit Wind- und Solarstrom benötigt. Gas ist als fossiler Brennstoff aber bei Teilen der Grünen verpönt, zudem besteht hier eine Abhängigkeit von Russland.

Teil des Sofortprogramms wird auch ein Konzept für Klimaschutzverträge, sogenannte Carbon Contracts for Difference (CCFD) werden. Mit ihnen soll die Industrie Hilfen erhalten, um den Einsatz von klimafreundlichen Brennstoffen wie grünem Wasserstoff finanzieren zu können. Die höheren Kosten können über diese Verträge ausgeglichen werden. Damit will man die energieintensive Industrie im internationalen Wettbewerb mit weniger klimafreundlichen Staaten schützen.

Der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, lobte Habecks Planungen: "Den anspruchsvollen Zielen der letzten Bundesregierung folgen jetzt anspruchsvolle Maßnahmen, verbunden mit klaren zeitlichen Vorgaben." Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag nannte den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energie durch weniger Bürokratie richtig. Angesichts hoher Preise bräuchten die Unternehmen aber Entlastung bei den staatlichen Energieabgaben. Der FDP-Energieexperte Michael Kruse betonte, die Energiewende dürfe die Akzeptanz der Menschen nicht durch hohe Preise verlieren. "Kurzfristig ist es notwendig, für entspannende Signale im Strom- und Gasmarkt zu sorgen."