Von Stephen Wilmot

NEW YORK (Dow Jones)--Während der Krieg in der Ukraine weiter wütet, verblasst sein Einfluss auf die größten europäischen Volkswirtschaften und Aktien. Die Einkaufsmanagerindizes - vielbeachtete Frühindikatoren für die Wirtschaftstätigkeit auf der Grundlage von Umfragen - zeigen sich in der Region überraschend stark.

Für die Eurozone lag der Composite-Index, der sowohl die Produktion des verarbeitenden Gewerbes als auch die des Dienstleistungssektors erfasst, am Dienstag bei 52,3 für Februar. Das entspricht einem Anstieg gegenüber 50,3 Zählern im Januar und einem Neunmonatshoch. Für Großbritannien rangierte der jüngste Wert bei 53 Punkten, gegenüber 48,5 Zählern. Werte über 50 Punkten signalisieren ein Wachstum.

Der erste Anstieg der Auftragseingänge in der Eurozone seit Mai war besonders ermutigend. Die Erholung der vergangenen Monate beruhte zum Teil auf einer Normalisierung der Lieferketten, die es den Unternehmen ermöglichte, einen schrumpfenden Auftragsbestand abzuarbeiten. Das Auftragspolster schrumpfte im Februar zwar immer noch, aber weniger als zuvor, da die Nachfrage nach Dienstleistungen sprunghaft hochschnellte. Die Energiekrise, die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine vor fast einem Jahr ausgelöst wurde, hat sich entspannt. Und die Kosten für die Einfuhr von Flüssigerdgas (LNG) in Europas wichtigstem Drehkreuz sind auf einem etwa 18-monatigen Tiefstand angelangt, nachdem die Gastanks im vergangenen Sommer stark aufgefüllt wurden sowie der Winter relativ mild ausfiel. Der nächste Winter könnte neue Herausforderungen in sich bergen, aber im Moment sieht es so aus, als hätten die hohen Preise des Vorjahres ihren Zweck erfüllt, um die notwendige Reaktion des Angebots hervorzurufen. Russland hat seine Karten bereits ausgespielt, indem es seine Gaslieferungen nach Europa reduzierte, wodurch sich sein Potenzial begrenzt, weiteren Schaden anzurichten.


   Europäische Aktien schreiten voran 

Die Daten bestätigen den Erfolg von Investments auf europäische Aktien seit Oktober. Im Laufe eines Jahres hat sich der Euro-Stoxx-50-Index der Aktien der Eurozone in US-Dollar gerechnet besser entwickelt als der S&P 500, was einige überraschen mag, wenn man bedenkt, dass die Region im Auge des Energiesturms feststeckt. Der britische FTSE-100-Index, zu dem auch die Energieerzeuger Shell und BP zählen und der seit langem zu den Nachzüglern gehört, hat neue Höchststände erreicht, wenn auch nicht für Dollar-Anleger.

Von hier aus könnte es jedoch schwieriger werden. Da die Energie- und Wachstumssorgen in Europa zurückgehen, werden die Anleger ihre Aufmerksamkeit wahrscheinlich auf die Zinssätze lenken, die in den USA bereits im Mittelpunkt stehen. Die Einkaufsmanager-Umfragen für Februar werden die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, wahrscheinlich ermutigen, ihren Kurs der Straffung der Geldpolitik fortzusetzen. Derweil scheint die Wirtschaft nicht nur robust zu laufen, sondern die Daten deuten auch auf eine hartnäckig hohe Inflation bei den Dienstleistungspreisen hin, nicht zuletzt wegen des Arbeitskräftemangels.


   Höhere Zinsen könnten Gift für Europas Konjunktur bedeuten 

Steigende Zinssätze können sich positiv auf die Erträge auswirken, wie jüngst die Quartalsergebnisse des Bankenriesen HSBC deutlich machten. Für die meisten Unternehmen haben sie jedoch den gegenteiligen Effekt. Die große Frage auf beiden Seiten des Atlantiks ist nun, wann und wie stark die Auswirkungen auf die Gewinne zu spüren sein werden. Das ist noch nicht klar. Nach Angaben von Morgan Stanley liegen die Gewinne in Europa bisher um etwa 9 Prozent über den Konsensuserwartungen.

Steigende Zinsen machen es für Anleger auch attraktiver, ihr Geld in Einlagen zu halten, was die Attraktivität von Aktien verringert, insbesondere von hoch bewerteten Unternehmen mit großen Wachstumsambitionen. Den europäischen Aktienmärkten ist zugute zu halten, dass es dort weniger große Wachstumsunternehmen gibt als in den USA. Der S&P-500 wird mit dem knapp 20-fachen der nachlaufenden Gewinne gehandelt, während der Euro-Stoxx-50 mit dem 15-fachen bewertet ist. Das beste Argument für europäische Aktien könnte sein, dass sich die Bewertungen wieder etwas erholen, wenn der US-Tech-Boom abkühlt. Für US-amerikanische Anleger ist Europa kein klarer Kauf, aber der Kontinent bietet Diversifizierungsvorteile.

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February 22, 2023 05:55 ET (10:55 GMT)