-- Regierung hebt BIP-Prognose 2023 auf plus 0,2 Prozent von minus 0,4 Prozent an

-- Habeck erwartet kürzere und mildere Rezession - wenn überhaupt

-- Prognose für 2024 auf 1,8 Prozent von 2,3 Prozent gesenkt

(NEU: Habeck)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Die Bundesregierung hat ihre Erwartung für die deutsche Wirtschaftsentwicklung nach oben revidiert und rechnet nun mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,2 Prozent in diesem Jahr. "Wir gehen jetzt davon aus, dass die Rezession kürzer und milder ist, wenn sie denn überhaupt stattfindet, als wir noch bei der Herbstprognose voraussehen konnten", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei einer Pressekonferenz zu dem vom Kabinett beschlossenen Jahreswirtschaftsbericht. "Wir wissen jetzt, ... dass wir die schlimme Rezession vermeiden können." Eine technische Rezession sei aber noch wahrscheinlich.

Die Prognose für 2024 senkte die Regierung allerdings auf 1,8 von 2,3 Prozent, geht aus von dem Ministerium veröffentlichten Eckwerten zu dem Bericht hervor. "Nach einer insgesamt positiven Entwicklung im zweiten Halbjahr 2022 geht die Bundesregierung für das laufende Jahr zwar von einer Abkühlung infolge des Energiepreisschocks und der Zinswende aus, rechnet in Summe aber mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes von plus 0,2 Prozent", erklärte das Wirtschaftsministerium. In der Herbstprojektion hatte sie noch mit einem Rückgang um 0,4 Prozent gerechnet. "Diese positive Tendenz gilt es jetzt wirtschaftspolitisch zu stärken."

Gleichzeitig gehe die Inflation zurück. Sie bleibe 2023 zwar weiterhin hoch, aber die Trendwende sei eingeleitet. Nach 7,9 Prozent 2022 sinkt die Inflation der Projektion zufolge 2023 auf 6,0 Prozent, kommendes Jahr soll sie dann weiter auf 2,8 Prozent zurückgehen.

Auch die Unternehmen fassten wieder Vertrauen. Die Stimmung habe sich spürbar verbessert. Unternehmen investierten in moderne Anlagen und Maschinen, die Ausrüstungsinvestitionen steigen laut der Projektion 2023 um 3,3 Prozent nach 2,5 Prozent im Vorjahr und 2024 dann um 4,2 Prozent. "Das ist einer der Faktoren, die uns aus der Rezession herausziehen", sagte Habeck.

Für die privaten Konsumausgaben wird hingegen ein Rückgang um 0,2 Prozent in diesem Jahr erwartet. Kommendes Jahr sollen sie aber wieder um 1,6 Prozent steigen. Im Außenhandel rechnet die Regierung in diesem Jahr mit einem Zuwachs der Exporte um 2,2 Prozent und der Importe um 1,6 Prozent und im nächsten mit 3,3 bzw plus 3,2 Prozent. Die Arbeitslosenquote wird für 2023 mit 5,4 Prozent und für 2024 mit 5,2 Prozent angenommen.


Wirtschaft hat sich widerstandsfähig gezeigt 

Der Bericht mit dem Titel "Wohlstand erneuern" zeigt laut dem Ministerium auf, wie Deutschland sich in der Krise behauptet hat. So habe das Land auch angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der damit verbundenen Energiekrise "Stärke bewiesen". Insbesondere konsequentes staatliches Handeln habe die Krise beherrschbar gemacht. "Zudem hat sich die deutsche Wirtschaft anpassungs- und widerstandsfähig gezeigt." Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher hätten durch große Energieeinsparungen ihren Beitrag geleistet, damit Deutschland gut durch den Winter kommt.

Der Jahreswirtschaftsbericht 2023 enthält neben der Projektion zentrale wirtschafts- und finanzpolitische Themenschwerpunkte der Bundesregierung. Unter dem Stichwort "Energieversorgung sichern, Transformation beschleunigen" heißt es, dabei stehe der Ausbau der erneuerbaren Energien als Grundlage für Transformation und Klimaschutz im Mittelpunkt. Mit den Maßnahmepaketen des Jahres 2022 seien die Weichen für einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien gestellt worden. Zugleich gelte es, staatlicherseits gezielt in den Aufbau einer grünen Wirtschaft zu investieren. Dazu gehöre der Einsatz des Klima- und Transformationsfonds.


Regierung plant "transformative Angebotspolitik" 

Um eine starke grüne Wirtschaft aufzubauen, sei es entscheidend, Deutschland als attraktiven Investitionsstandort zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Mittelstand zu befördern. Dazu setze die Regierung "auf eine transformative Angebotspolitik, die nicht einem blinden Wachstum folgt, sondern der Erneuerung unseres Wohlstands dient". Private Investitionen sollten gezielt angereizt werden, etwa durch verbesserte steuerliche Abschreibungsregelungen wie die degressive Afa und Superabschreibungen. Diese Impulse stärkten antizyklisch die wirtschaftliche Dynamik. Die Produktivität der Märkte sei "das, was dieses Land ausmacht", deshalb werde eine Weiterentwicklung der Marktwirtschaft "im Kern der politischen Arbeit dieses Hauses stehen".

Auf eine Frage nach Unternehmenssteuersenkungen, wie sie Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fordert, betonte Habeck, ihm gehe es um eine "gezielte Förderung und Entwicklung von neuen Märkten". Lindner betonte seinerseits über den Kurznachrichtendienst Twitter, der Bericht lenke den "Fokus auf angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik" und widme erstmals ein eigenes Kapitel der Belastung aus Steuern und Abgaben. "Das ist nötig, denn Steuerpolitik wird zunehmend zum Wettbewerbsfaktor", erklärte Lindner.

Zusätzlich strebt die Regierung laut dem Jahreswirtschaftsbericht die Entwicklung eines Industriestrompreises an, damit die Industrie auch in der Transformation wettbewerbsfähig bleibe. Um den Wohlstand in Deutschland und Europa zu bewahren und zu erneuern, will die Regierung zudem die strategische Souveränität und die wirtschaftliche Resilienz in Deutschland und der Europäischen Union stärken. Hierfür bedürfe es bilateraler EU-Handelsabkommen auf der Basis starker sozialer und ökologischer Standards.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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January 25, 2023 09:27 ET (14:27 GMT)