Paris (Reuters) - Der rechte Rassemblement National (RN) hat Nachwahl-Befragungen zufolge die erste Runde der französischen Parlamentswahl gewonnen.

Danach kann der RN von Marine Le Pen auf etwa 34 Prozent der Stimmen hoffen, wie mehrere Meinungsforscher am Sonntag nach Schließung der Wahllokale errechneten. Der Zusammenschluss von Linken und Grünen kommt demnach auf den zweiten Platz mit etwa 29 Prozent. Die Gruppierung von Präsident Emmanuel Macron, Ensemble, liegt mit 20,5 bis 23 Prozent auf dem dritten Platz. Ein solcher Ausgang würde etwa auf der Linie von Umfragen vor der Wahl liegen. Marine Le Pen vom RN sprach am Abend von einem Sieg. Das französische Volk habe das Lager von Macron praktisch ausgelöscht. Sie hoffe, dass der RN-Parteivorsitzende Jordan Bardella Regierungschef werde.

Entscheidend sein wird dafür der zweite Wahlgang am nächsten Sonntag, da direkte Mandate in der ersten Runde nur mit absoluter Mehrheit in den Wahlkreisen gewonnen werden konnten. Dies sind normalerweise nur ein Bruchteil der insgesamt 577 zu vergebenen Sitze. In der zweiten Runde reicht eine einfache Mehrheit. Ob der RN hier seine Spitzenposition behauptet, hängt stark vom Verhalten der anderen Parteien in der Stichwahl ab. Bei der vergangenen Wahl hatten die Parteienblöcke Allianzen geschmiedet, um den Sieg von Kandidaten des RN zu verhindern und den Kandidaten auf Platz 2 zu stützen.

Das Linksbündnis kündigte so nach der Wahl an, ihre Kandidaten zurückzuziehen, wenn sie nur auf Platz gelandet waren. "Unsere Richtlinie ist einfach und klar: keine einzige Stimme mehr für den Rassemblement National", sagte Linken-Führer Jean-Luc Melenchon. Nahezu wortgleich äußerte sich der amtierende Ministerpräsident Gabriel Attal, der Macrons Partei angehört. "Keine einzige Stimme darf an den RN gehen. (...) Die Aufgabe ist klar: eine absolute Mehrheit für den Rassemblement National verhindern." Macron selbst forderte per Pressemitteilung, in der zweiten Wahl nur Kandidaten zu unterstützen, die "klar republikanisch und demokratisch" sind.

Der RN erhebt für sich den Anspruch, die neue Regierung zu bilden. Allerdings will er das nur mit der absoluten Mehrheit der Sitze tun. Er argumentiert, sonst habe er zuwenig Einfluss auf die Politik Frankreichs. Denn Macron bleibt Präsident mit großer Machtfülle. Allerdings könnte er künftig mit einem Ministerpräsidenten einer anderen Partei regieren müssen. Der Verteidigungs- und Außenpolitik kann er zwar weiter seinen Stempel aufdrücken. Zugleich würde er die Kontrolle über die innenpolitische Agenda weitgehend verlieren - also etwa Wirtschaftspolitik, Sicherheit, Einwanderung und Finanzen.

Macron hatte nach der Niederlage seiner Partei bei der Europawahl Anfang Juni überraschend vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt. Die Beteiligung an der Abstimmung war deutlich höher als 2022. Bis 17.00 Uhr hatten etwa 60 Prozent der Franzosen ihre Stimme abgegeben. 2022 waren es nicht einmal 40 Prozent.

Macron sieht durch die Programme der Parteien am rechten und linken Rand sogar die Gefahr eines "Bürgerkriegs" heraufziehen - eine drastische Wortwahl, zumal Paris in wenigen Wochen die Olympischen Spiele ausrichtet. Die Neuwahl und der drohende Rechtsruck sorgte auch schon für Verunsicherung an den Finanzmärkten. Die Risikoprämie für französische Staatsanleihen stieg am Freitag auf den höchsten Stand seit der Euroschuldenkrise 2012.

Der RN will die Mehrwertsteuer auf Energie von 20 Prozent auf 5,5 Prozent senken. Laut der Ratingagentur S&P könnte dies Frankreichs Bonität weiter belasten. Die Neuwahl erhöhe die Risiken für die Haushaltskonsolidierung. Die Bonitätsprüfer hatten das Land bereits herabgestuft. In der Euro-Zone könnten sich die Konflikte so in der Schuldenpolitik verschärfen.

LE PEN WILL RN-IMAGE AUFPOLIEREN

Le Pen (55) ist bemüht, das Image ihrer nationalistischen Partei aufzupolieren und sie als politische Bewegung darzustellen, die Kaufkraft stärken und Jobs sichern will. Das Gesicht des RN prägt mittlerweile auch Parteichef Bardella. Er will Regierungschef werden - allerdings nur mit einer absoluten Mehrheit im Parlament im Rücken. Er umgarnt Arbeitgeber und stellt niedrigere Unternehmenssteuern in Aussicht.

Ministerpräsident Gabriel Attal von Macrons Renaissance warnte eindringlich vor einem Sieg der Rechten und auch des Linksbündnisses NFP. Die Rechtsextremen würden den Platz Frankreichs in der EU und die Unterstützung für die Ukraine gefährden und das Risiko einer "Unterwerfung unter Russland" mit sich bringen. Bardella ging jüngst auf Distanz zu Moskau. Er sehe Russland als "eine mehrdimensionale Bedrohung sowohl für Frankreich als auch für Europa". Er sei dafür, die Ukraine weiter mit Logistik und Verteidigungsgütern zu unterstützen. Doch ziehe er eine rote Linie bei allem, was russische Städte direkt treffen könnte.

Attal stellte im kurzen Wahlkampf zugleich die Linke als zerstritten dar und sagte diplomatische "Kakophonie" voraus, sollte sie gewinnen. Sie will die Rentenreform kippen, ein wichtiges Projekt Macrons. Auch der RN hat ähnliche Pläne. Er will das gesetzliche Renteneintrittsalter wieder auf 62 Jahre herabsetzen.

(Bericht von Ardee Napolitano, Janis Laizans, Clotaire Achi, Imad Creidi und Lucien Libert. Geschrieben von Markus Wacket, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)