Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Nachrichtenlage an den Börsen könnte kaum schlechter sein. Der Krieg in der Ukraine und der Konflikt im Nahen Osten, eine schwache Wirtschaft in der Eurozone, hohe Marktzinsen sowie eine restriktive Geldpolitik der Notenbanken drücken auf das Sentiment. Der DAX ist mittlerweile unter das Niveau von 15.000 Punkten gefallen. Dass der Index nicht noch tiefer notiert, ist vor allem dem bisher guten Verlauf der Berichtssaison auf beiden Seiten des Atlantiks zu verdanken. Laut der Societe Generale haben bislang 78 Prozent der Unternehmen im S&P-500, die bereits ihre Zahlen veröffentlicht haben, die Gewinnschätzungen geschlagen. Auch bei den deutschen Unternehmen sieht es gut aus.

Die Marktzinsen sind für die Börsianer weiterhin viel zu hoch. Die vielbeachtete Rendite der 10-jährigen US-Treasurys kratzt mit aktuell 4,89 Prozent an der psychologisch wichtigen Marke von 5 Prozent. Gründe dafür sind vor allem die robuste US-Wirtschaft und die gute Verfassung des dortigen Arbeitsmarktes. Hinzu kommen die Sorgen der Anleger um den US-Haushalt. Wie die Commerzbank anmerkt, entsprechen die Schulden der US-Bundesregierung inzwischen rund 100 Prozent des BIP. Ähnlich hoch sei die Staatsschuldenquote zuletzt Ende des Zweiten Weltkriegs gewesen. In den kommenden Jahren dürfte sie weiter zulegen und einen neuen Rekordwert erreichen.


    Auch die US-Notenbank dürfte still halten 

Die US-Notenbank dürfte am kommenden Mittwoch dem Beispiel der EZB folgen und ihre Geldpolitik bestätigen. Fed-Chef Jerome Powell hat in einer kürzlich gehaltenen Rede darauf hingewiesen, dass die Wirtschaftsgeschichte nahelegt, dass eine nachhaltige Rückkehr zum Inflationsziel vermutlich eine Phase schwächeren Wachstums und eine weitere Abkühlung am Arbeitsmarkt voraussetzt. "Weitere Anzeichen, dass die Wirtschaft beharrlich rascher wächst als der längerfristige Trend, könnte die Fortschritte bei der Inflation in Gefahr bringen und weitere Zinserhöhungen erfordern", warnt die Commerzbank. Die ebenfalls in der kommenden Woche anstehenden US-Arbeitsmarktdaten dürften für den Geschmack der US-Notenbank ebenfalls zu solide ausfallen.

Das spricht dafür, dass die Leitzinsen für eine längere Zeit zumindest auf einem hohen Niveau verharren werden. Die Zeiten des "Fed-Puts", also der impliziten Garantie, dass die US-Notenbanken in schweren Zeiten den Finanzmärkten unterstützend unter die Arme greifen, sind auf absehbare Zeit vorüber. Das liegt auch daran, dass die Inflation in der Zukunft strukturell bedingt vermutlich auf einem höheren Niveau liegen wird. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Diese reichen von "Peak Globalisation", also dem Höhepunkt der Globalisierung der vergangenen Dekaden, einer verstärkt multipolaren Welt, der Energiewende, bis hin zur Alterung der Gesellschaften in den meisten Industriegesellschaften.


   Gold ist Gewinner einer unsicheren Welt 

Dass die alte Weltordnung aus den Fugen geraten ist, zeigt die Entwicklung des Goldpreises. Dass das Edelmetall trotz eines Renditeniveaus in den USA von rund 5 Prozent bei fast 2.000 Dollar die Feinunze und damit in der Nähe des Allzeithochs notiert, ist mehr als bemerkenswert. Selbst dieses Renditeniveau bietet aktuell offenbar keine Alternative zu dem zinslosen Asset. "Die Reaktion des Goldpreises auf die Ereignisse in Nahost zeigen, dass Gold nach wie vor als eine Art Versicherungsprämie gegen geopolitische Risiken und Unwägbarkeiten am Finanzmarkt gesehen wird - und dass Anleger diese Prämie gerne bezahlen", heißt es bei der Fürst Fugger Privatbank.

Immerhin entwickelt sich die Inflation seit geraumer Zeit in die richtige Richtung. Im Oktober hat die Inflationsrate im Euroraum ihre Talfahrt wohl fortgesetzt. "Nachdem sie vor einem Jahr bei 10,6 Prozent ihren Hochpunkt markiert hatte, betrug sie im Oktober 2023 voraussichtlich nur noch 3,0 Prozent, was deutlich niedriger wäre als die September-Rate von 4,3 Prozent", so die Commerzbank. Maßgeblich hierfür sei, dass sich der starke Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise im Oktober 2022 in diesem Jahr nicht wiederholt habe. Im Gegenteil, die Energiepreise seien gegenüber September sogar leicht gefallen, und auch die Nahrungsmittel hätten sich saisonbereinigt nur leicht verteuert.


   Unternehmensgewinne trotzen dem schwierigen Umfeld 

Der Rückgang der Inflation ist vor allem für die Konsumenten eine gute Nachricht, an den Märkten aber kein wirkliches Thema mehr. Den einzigen wirklichen Anker an den Börsen stellt derzeit die gut laufende Berichtssaison für das dritte Quartal dar. Bislang haben 14 Unternehmen aus dem DAX ihre Zahlen veröffentlicht. Von diesen haben Angaben der Commerzbank zufolge acht (57%) die Markterwartungen übertroffen und zwei (14%) diese klar verfehlt. Damit gebe es momentan mehr positive Überraschungen als im langfristigen Durchschnitt und im Durchschnitt der dritten Quartale eines Jahres. Gleichzeitig hätten allerdings auch etwas mehr Unternehmen die Erwartungen enttäuscht als im Durchschnitt der dritten Quartale.

Auch für die MDAX-Unternehmen ist es bislang besser gelaufen als im Vorfeld erwartet. "Viele deutsche Unternehmen trotzen mit einer Kombination aus Preiserhöhungen und Kostenkontrolle der schwachen Konjunktur. Wegen dieser, den höheren Zinsen und den steigenden Lohnkosten wird der Fokus der Unternehmen weiter auf der Verringerung der Kosten liegen", glaubt die Commerzbank. Die Zeiten für Anleger an den Börsen sind schwer. Daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern. Wer allerdings die Hoffnung noch nicht vollends aufgegeben hat, baut immer mal wieder Positionen in die Schwäche hinein aus. Es wäre nicht das erste Mal in der Börsengeschichte, dass sich mutiges Anlageverhalten mittelfristig auszahlt.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

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October 27, 2023 08:12 ET (12:12 GMT)