(neu: Kurs, Analyst, Aussagen Merz aus Telefonkonferenz)

ESSEN (dpa-AFX) - Der Stahl- und Industriekonzern Thyssenkrupp ist im zweiten Quartal in die roten Zahlen gerutscht. Grund waren Wertberichtigungen in der Stahlsparte wegen des gestiegenen Zinsniveaus. Höhere Kosten für Rohstoffe und Energie sowie niedrigere Stahlpreise führten zu deutlichen Einbußen im operativen Ergebnis, auch wenn der Rückgang nicht so stark ausfiel, wie von Analysten zuvor befürchtet. Die Ergebnisprognose für das Geschäftsjahr 2022/23 (per Ende September) bekräftigte das Unternehmen. Es war die letzte Quartalsvorlage der scheidenden Konzernchefin Martina Merz.

Die im MDax notierte Aktie gab am Donnerstag zu Handelsbeginn um knapp vier Prozent nach. Zuletzt grenzte sie das Minus auf zweieinhalb Prozent ein. Die gesunkene Profitabilität im Stahlgeschäft habe das operative Ergebnis im zweiten Geschäftsquartal belastet, schrieb Analyst Christian Obst von der Baader Bank in einer ersten Reaktion. Hinzu kämen die Abschreibungen auf die Sparte. Es sehe so aus, als müsse Thyssenkrupp mehr tun, um seine Struktur und Kostenbasis zu verbessern. Im Fokus stehe aber die künftige Strategie, sowie die anhaltenden Diskussionen darüber, bemerkte er mit Blick auf den Wechsel in der Chefetage Anfang Juni.

Merz sieht die Führung von Thyssenkrupp in guten Händen. Eine Verzögerung der Transformation sieht sie durch den Wechsel nicht, wie sie in einer Telefonkonferenz erklärte. "Die Personalveränderung an der Spitze des Vorstandes wird das Unternehmen in dieser Phase der Umsetzung des Umbaus nicht bremsen", sagte sie. Es gelte jetzt, den eingeschlagenen Kurs weiter umzusetzen und das Tempo zu erhöhen. "Die wesentlichen strategischen Initiativen werden weiter konsequent verfolgt." Der Umbau sei noch nicht abgeschlossen, aber die Weichen seien gestellt. Es sei jetzt der richtige Zeitpunkt, den Wechsel zu machen.

Die Konzernchefin hatte Ende April den Personalausschuss des Aufsichtsrats um eine baldige Auflösung ihres Vertrages gebeten. Der Ausschuss hat dem Aufsichtsrat bereits einen Nachfolger vorgeschlagen. Demnach soll der derzeitige Interimschef des Autozulieferers Norma, Miguel Ángel López Borrego (58), zum 1. Juni neuer Vorstandschef werden.

In den Monaten Januar bis März musste das Unternehmen unter dem Strich einen Verlust von 223 Millionen Euro hinnehmen, wie Thyssenkrupp in Essen mitteilte. Im Vorjahr hatte noch ein Nettogewinn von 565 Millionen Euro zu Buche gestanden. Thyssenkrupp musste dabei auf sein Stahlgeschäft knapp 350 Millionen Euro abschreiben. Die Wertberichtigungen wurden dabei wegen gestiegener Zinsen und eines damit einhergehenden höheren Kapitalkostensatzes vorgenommen, wie das Unternehmen erläuterte.

Höhere Kosten sowie gesunkene Stahlpreise ließen das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) bei 205 Millionen Euro herauskommen und damit deutlich unter dem Vorjahresniveau von 802 Millionen Euro. Analysten hatten im Vorfeld mit einem größeren Rückgang gerechnet. Dabei verzeichneten das Handelsgeschäft und die Stahlsparte erhebliche Einbußen. Steel Europe schrieb dabei überraschend rote Zahlen, Analysten waren zwar von einem deutlichen Ergebnisrückgang ausgegangen, hatten jedoch noch einen Gewinn erwartet. Positiv entwickelte sich hingegen das Automobilzuliefergeschäft sowie die Marine-Sparte.

Der Umsatz des Konzerns ging leicht von 10,6 Milliarden auf 10,1 Milliarden Euro zurück und lag ebenfalls über den Erwartungen des Marktes. Der Auftragseingang ging hingegen deutlich von 13,6 Milliarden auf 10,2 Milliarden Euro zurück. Die lag an sinkenden Preisen im Handelsgeschäft sowie an Verkäufen von Unternehmensteilen. Positiv zeigte sich hier das Bild im Stahlgeschäft, das höhere Bestellmengen insbesondere aus der Bau- und Autoindustrie verzeichnete und seinen Auftragseingang um neun Prozent steigern konnte.

Merz zeigte sich mit Blick auf das schwierige Umfeld zufrieden. "Die Ergebnisse zeigen, dass wir inzwischen sehr viel stärker und widerstandsfähiger aufgestellt sind", sagte sie. "Die dezentrale Aufstellung als Unternehmensgruppe und die Fokussierung des Portfolios zahlen sich aus."

Die 60-jährige Managerin ist seit Oktober 2019 Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp. Die gelernte Maschinenbauingenieurin hatte den Konzern in schwieriger Lage übernommen. Erst im vergangenen Jahr wurde ihr Vertrag bis 2028 verlängert. Allerdings hängt das wichtigste Projekt, die weitere Zukunft des Stahlgeschäfts, weiter in der Schwebe. Zudem hatte sie die Gewerkschaft IG Metall gegen sich, die die von Merz forcierte Struktur von Thyssenkrupp als Gruppe weitgehend selbstständiger Unternehmen zuletzt deutlich kritisierte und ein fehlendes Gesamtkonzept monierte.

Die Ergebnisprognose für das Geschäftsjahr 2022/23 (per Ende September) bestätigte Thyssenkrupp und rechnet weiter mit einem bereinigten operativen Ergebnis im mittleren bis hohen dreistelligen Millionen-Euro Bereich - nach 2,1 Milliarden Euro im Vorjahr. Den Jahresüberschuss sieht das Management weiterhin "mindestens" ausgeglichen. Der freie Mittelzufluss vor Fusionen und Akquisitionen dürfte hingegen leicht positiv ausfallen - zuvor hatte Thyssenkrupp einen "mindestens" ausgeglichenen Wert avisiert./nas/he/mis