LONDON (dpa-AFX) - Der Verfall der Ölpreise hat immer massivere Auswirkungen. Der britisch-niederländische Energieriese Shell muss einen Gewinneinbruch hinnehmen, die Börsen geraten zunehmend unter Druck und der russische Rubel fällt auf einen historischen Tiefstand.

Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur März-Lieferung kostete am Mittwoch zeitweise 27,95 US-Dollar - 81 Cent weniger als am Vortag. Der Preis für ein Fass der amerikanischen Sorte WTI zur Lieferung im Februar fiel noch stärker um 1,07 Dollar auf 27,39 Dollar - das US-Rohöl rutschte damit auf den tiefsten Stand seit über zwölf Jahren.

VERBRAUCHER PROFITIEREN VON NIEDRIGEN PREISEN

Zu den Profiteuren sinkender Ölpreise zählen Verbraucher zum Beispiel wegen sinkender Benzinpreise an den Tankstellen sowie Unternehmen in Ölimportländern wie Deutschland. Verlierer sind dagegen Konzerne und Länder, die an dem Verkauf von Rohöl verdienen.

Beim Ölkonzern Shell dürfte allein im Schlussquartal 2015 der bereinigte Gewinn auf 1,6 bis 1,9 Milliarden US-Dollar abgesackt sein, teilte der Konzern nach vorläufigen Berechnungen mit. Ein Jahr zuvor waren es noch 3,3 Milliarden Dollar gewesen. Ähnlich sieht es beim erwarteten Reingewinn für das Gesamtjahr 2015 aus. Hier werden 10,4 bis 10,7 Milliarden Dollar erwartet. Endgültige Zahlen werden am 4. Februar veröffentlicht.

STELLENABBAU UND EINGEDAMPFTEN INVESTITIONEN

Shell will mit Produktionskürzungen, umfangreichen Stellenabbau und eingedampften Investitionen gegensteuern. Im Zuge der geplanten Übernahme des britischen Gasförderers BG sei 2015 und 2016 ein Abbau von etwa 10 000 Stellen in beiden Unternehmen geplant. Die Kosten sollen im laufenden Jahr um weitere drei Milliarden Dollar (2,75 Mrd Euro) gesenkt werden. Shell ist der erste Ölriese, der Zahlen für 2015 bekanntgab.

Konzernchef Ben van Beurden betonte, die Strategie der Kosteneinsparungen werde beibehalten, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. "Mutige, strategische Schritte zeichnen unsere Industrie aus." Die Übernahme von BG solle innerhalb von Wochen unter Dach und Fach sein, sagte Beurden. Sie werde den "Beginn eines neuen Kapitels bei Shell markieren". Die Shell- und BG-Aktionäre müssen der Übernahme in der kommenden Woche zustimmen.

ENDE DER IRAN-SANKTIONEN FACHT FURCHT VOR VERFALL AN

"Derzeit sind die Aussichten für den Ölmarkt ziemlich negativ", kommentierte Rohstoffexperte Angus Nicholson vom britischen Handelshaus IG Group die Schwemme. Das Ende der Iran-Sanktionen fache die Furcht vor weiterem Preisverfall an. Erst am Dienstag hatte die Internationale Energieagentur IEA in drastischen Worten davor gewarnt, dass der Ölmarkt im Überangebot zu "ertrinken" drohe.

Führende Banken übertreffen sich mit immer niedrigeren Prognosen für die Ölpreise. Während die US-Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley von einem Tiefpunkt bei 20 Dollar ausgehen, hatte die britische Bank Standard Chartered ein Abrutschen bis auf 10 Dollar nicht ausgeschlossen.

AKTIENMÄRKTE WELTWEIT UNTER DRUCK

Der anhaltende Ölpreisverfall belastete auch Aktienmärkte weltweit. Der deutsche Leitindex Dax fiel am Mittwoch um fast drei Prozent. Auch die Börsen in Asien wurden kräftig durchgeschüttelt. In Hongkong sank der Leitindex Hang Seng zeitweilig auf den tiefsten Stand seit Mitte 2012.

Der russische Rubel rutsche weiter in den Keller: Der Dollar kostete am Mittwoch erstmals mehr als 80 Rubel. Das Ölland Venezuela verlangt ein entschlossenes Gegensteuern. "Es ist die Stunde gekommen, in der wir auf dem Ölmarkt die Zügel in die Hand nehmen und die Basis für Stabilität schaffen müssen", sagte Präsident Nicolás Maduro. Er wolle die Mitgliedstaaten der OPEC und andere erdölfördernde Länder zusammenbringen, um eine neue Strategie zu entwerfen. Er habe bereits mit dem iranischen Präsidenten Hassan Ruhani darüber gesprochen./pm/DP/she