Zürich (awp/sda) - Rund neun Monate nach der mündlichen Urteilseröffnung gegen Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und weitere Beschuldigte im Prozess wegen mutmasslichen Millionen-Betrugs verschickt das Bezirksgericht Zürich in diesen Tagen die schriftliche Begründung. Das Dokument umfasst rund 1200 Seiten.

Den Prozessbeteiligten werde das Urteil im Laufe dieser Woche zugestellt, hiess es beim Bezirksgericht auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Den Medien wird das Urteil erst in einigen Wochen geschickt, weil das Gericht es noch anonymisiert. Es schwärzt also auf 1200 Seiten etwa die Namen von Beteiligten ein.

Die inhaltlichen Eckpunkte des Urteils sind seit der Urteilseröffnung im April 2022 bekannt. Pierin Vincenz wurde zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Der ehemalige Aduno-Chef Beat Stocker soll für 4 Jahre ins Gefängnis. Im Prozess wurden Vincenz und Stocker unter anderem Betrug bei Firmenübernahmen vorgeworfen.

Verurteilte wollen vor Obergericht

Von den Mitbeschuldigten, die Vincenz und Stocker bei ihren illegalen Transaktionen geholfen haben sollen, wurden drei zu bedingten Geldstrafen verurteilt. Ein Mitbeschuldigter wurde freigesprochen.

Das Verfahren gegen einen weiteren Mitbeschuldigten stellte das Gericht wegen dessen fortgeschrittener Krankheit ein. Der 69-Jährige starb vor wenigen Wochen im Dezember 2022.

Nachdem die schriftliche Begründung nun vorliegt, haben die Parteien 30 Tage Zeit, den Entscheid offiziell ans Zürcher Obergericht weiterzuziehen. Bereits bei der mündlichen Urteilseröffnung kündigten alle Verurteilten an, den Entscheid weiterzuziehen. Wann die Berufungsverhandlung stattfindet, ist noch offen.

"Tour de Suisse durchs Rotlichtmilieu"

Die Staatsanwaltschaft warf Vincenz und Stocker vor, sich versteckt an Firmen beteiligt und danach dafür gesorgt haben, dass diese Unternehmen durch die Raiffeisen oder die Kreditkartenfirma Aduno aufgekauft wurden. Dabei sollen die beiden Millionengewinne eingestrichen haben.

Das Gericht kritisierte in seinem Urteil auch Vincenz' Art der Spesenabrechnung. Viele Besuche in Stripclubs und Cabarets in der ganzen Schweiz seien "nicht im Interesse der Raiffeisen" gewesen.

Dieses Verständnis, dass alle Auslagen unter Spesen fallen würden, gehe "deutlich zu weit". Auch Beziehungspflege habe Grenzen, hiess es bei der Urteilseröffnung. Die Anklage fasste diesen Teil der Vorwürfe als "Tour de Suisse durchs Rotlichtmilieu" zusammen.

In einzelnen Punkten wurde Vincenz freigesprochen. Das Urteil des Bezirksgerichts Zürich blieb denn auch deutlich unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Freiheitsstrafe von 6 Jahren.