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BERLIN (dpa-AFX) - Gut vier Monate nach der Bundestagswahl nehmen Union und SPD an diesem Freitag unter hohem Erwartungsdruck Koalitionsverhandlungen auf. Umstritten ist, wie schnell ein Abschluss gelingen kann. Vor allem die Union macht Druck. SPD-Bundesvize Manuela Schwesig sprach sich am Donnerstag für zügige Gespräche aus, fügte aber hinzu: "Wir müssen uns auch die notwendige Zeit nehmen, damit am Ende etwas Gutes dabei heraus kommt."

Nach der knappen Zustimmung eines SPD-Parteitages zeichnen sich harte Verhandlungen ab - unter anderem bei den Themen Flüchtlinge, Gesundheit und Arbeitsmarktspolitik. Thematisch soll voraussichtlich in 18 Arbeitsgruppen verhandelt werden. Diese könnten schon am Freitagnachmittag mit ihren Beratungen beginnen.

Zunächst treffen sich um 9.00 Uhr die Vorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) in der Berliner CDU-Zentrale. Dann soll eine Runde von 15 Spitzenvertretern der drei Parteien zusammenkommen, wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus Parteikreisen erfuhr.

Die Union will mit den Verhandlungen bis Karneval fertig werden - die Hochphase des närrischen Treibens beginnt mit Weiberfastnacht am 8. Februar. Über einen Koalitionsvertrag sollen dann noch die mehr als 440 000 SPD-Mitglieder abstimmen. Dieser Prozess dauert nochmals drei Wochen. Der Widerstand gegen eine große Koalition in der SPD ist groß. Auf dem Parteitag in Bonn hatten sich die Sozialdemokraten am vergangenen Sonntag nur mit knapper Mehrheit zu Verhandlungen mit der Union durchgerungen.

Die SPD bestimmte am Freitag ihr Verhandlungsteam. In die "große Runde" der Gespräche will die Partei 35 Unterhändler entsenden, wie die dpa aus SPD-Kreisen erfuhr. Ein möglicher Zeitplan sieht demnach Verhandlungen bis zum 4. Februar vor. Zuvor hatte die "Saarbrücker Zeitung" (Freitag) darüber berichtet. Außenminister und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel soll für die Sozialdemokraten bei den Koalitionsverhandlungen anders als in den Sondierungen wieder mitwirken. Auch andere geschäftsführende SPD-Minister sollen demnach für die Sozialdemokraten die Führung von Arbeitsgruppen übernehmen.

Die SPD-Unterhändler gehen mit drei Kernforderungen in die Verhandlungen: eine Einschränkung der sachgrundlosen Jobbefristungen, ein Einstieg in das Ende der Zweiklassenmedizin - worunter die SPD das Ziel der Verschmelzung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung versteht - und eine weitergehende Härtefallregelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus.

Die Union lehnt zwar grundlegende Änderungen an der gemeinsamen Sondierungsvereinbarung vom 12. Januar ab, vermeidet derzeit aber scharfe Töne. In der Gesundheitspolitik hatten Unionspolitiker bereits signalisiert, sich Änderungen bei Honoraren für Landärzte oder bei den Wartezeiten für Arzttermine vorstellen zu können. Allerdings blockiert vor allem die CSU beim Familiennachzug und sachgrundlosen Jobbefristungen.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte der dpa, neben der Angleichung der Arzthonorare sei für die SPD auch eine Entbürokratisierung des Systems und eine bessere Zusammenarbeit von Krankenhäusern und Arztpraxen wichtig. "Wir werden in den jetzt anstehenden Koalitionsverhandlungen bei Gesundheit viel erreichen müssen, weil wir sonst nicht durch das Mitgliedervotum kommen."

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warf der SPD Scheinheiligkeit in der Debatte über sachgrundlos befristete Arbeitsverträge vor. Die SPD-Forderung nach einer Einschränkung dieses Instruments sei "verlogen", sagte er am Donnerstag der dpa. "Denn gerade in SPD-geführten Bundesministerien ist die Anzahl befristeter Jobs in den vergangenen Jahren rasant gestiegen."

In einer repräsentativen Welt-Emnid-Umfrage fordern 70 Prozent der Befragten, die Union solle der SPD beim Thema Gesundheitsversorgung entgegenkommen. 56 Prozent halten die Abschaffung befristeter Arbeitsverträge für ein Zugeständnis, das die Union der SPD machen könnte. Weitere Härtefallregelungen für den Familiennachzug finden nur 40 Prozent der Befragten gut. 10 Prozent meinen, CDU und CSU sollten der SPD am besten gar nicht weiter entgegenkommen - egal bei welchem Thema.

In der SPD-Führung bahnt sich unterdessen eine Diskussion darüber an, ob Parteichef Martin Schulz bei einer Regierungsbildung mit der Union einen Posten im Kabinett übernehmen soll. "Das ist eine Frage, die wir auch beraten werden", sagte der Bremer Regierungschef Carsten Sieling am Donnerstag vor dem Treffen der Parteiführung in Berlin auf eine entsprechende Frage. "Mir ist wichtig, dass die Partei stark und möglichst autonom ist. Das gilt sicherlich auch für den Vorsitzenden oder wäre sehr gut jedenfalls für ihn", fügte er hinzu.

Bei einem Eintritt in die Regierung unter Führung Merkels wäre Schulz in die Kabinettsdisziplin eingebunden. Deswegen hatte er als Kanzlerkandidat keinen Kabinettsposten übernommen. Nach der Bundestagswahl hatte Schulz erklärt, dass er nicht in ein Kabinett Merkels eintreten werde. Nach Abschluss der Sondierungsgespräche schloss er das auf Nachfragen aber nicht mehr ausdrücklich aus. In der Welt-Emnid-Umfrage sprachen sich 48 Prozent der Befragten gegen ein Ministeramt für Schulz aus./mfi/jac/sam/poi/DP/zb