STUTTGART (dpa-AFX) - Der Protest gegen Stuttgart 21 hat klein angefangen: Im Oktober 2009 versammelten sich fünf Menschen am Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofes, um ihrem Unmut über das Milliarden-Bahnprojekt Nachdruck zu verleihen. Es wurden schnell mehr. Schon im Sommer 2010 gingen immer wieder mehr als 100 000 Gegner der unterirdischen Station mit Anbindung an die Neubaustrecke nach Ulm auf die Straße. Trauriger Höhepunkt war der "schwarze Donnerstag", an dem bei Protesten im Stuttgarter Schlossgarten laut Innenministerium mehr als 160 Menschen verletzt wurden. An diesem Montag heißt es für die Kritiker des "Milliardengrabes" zum 400. Mal "Oben bleiben".

"Mutbürger" oder "Wutbürger"?: Die Gesellschaft für deutsche Sprache wählte den Begriff "Wutbürger" mit Blick auf die Demonstranten in Stuttgart zum Wort des Jahres 2010. Die sehen sich hingegen als "Mutbürger", die auf mehr Beteiligung an dem bis zu 7,9 Milliarden Euro teuren Bahnprojekt pochen und Alternativen aufzeigen. Sie setzen sich überdies gegen Feinstaub, Treibhausgase und Rassismus ein und vernetzen sich mit Gegnern anderer Vorhaben wie 2013 mit den Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park.

Arbeitsteilung: Die Protestbewegung besteht aus vielen Gruppierungen, die unter dem Dach des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 vereint sind. Von den Parkschützern über die Theologen und Juristen gegen Stuttgart 21 bis hin zu Stadtteilinitiativen und Architekten für das Alternativkonzept K21. K21 sieht unter anderem einen modernisierten Kopfbahnhof vor. Die Linken und das Bündnis SÖS Stuttgart Ökologisch Sozial gehören dazu, während die Grünen ausgestiegen sind. Unabhängig davon, aber vernetzt mit dem Bündnis, sind etwa die sehr rührigen Ingenieure gegen Stuttgart 21.

Dauer-Mahnwache: Als Informationsdrehscheibe fungiert eine Zelt gegenüber dem Hauptbahnhof, in dem rund um die Uhr stets zwei Gegner Fragen beantworten sowie Material wie Reden oder Presseerklärungen verteilen. Viele der Aktiven sind älter und ziehen eine solche Möglichkeit der Information über das Internet vor.

Moneten und Merchandising: Die Mitglieder des Aktionsbündnisses sind alle ehrenamtlich tätig. Die Montagsdemo wird nach Angaben einer ihrer Organisatoren fast von den dabei eingenommenen Spenden finanziert. Geld in die Kasse bringt auch der Verkauf von witzig kommentierten K21-Produkten wie Rotwein (Wir sind am Zug), Sauerkraut (Gegen uns ist kein Kraut gewachsen) und Olivenöl (Schmieröl des Widerstands). Stuttgart-21-Kritiker können ihre Gesinnung auch mit grünen Schals und Mützen dokumentieren.

Protest-Kultur: Zu den Galionsfiguren des Protests gehören der Stuttgarter Schauspieler ("Der Kommissar und das Meer") und Filmproduzent Walter Sittler sowieso der ehemalige Hausregisseur am Schauspiel Stuttgart, Volker Lösch. Für das Theater ist der Stoff interessant: So inszenierte das Studio Theater Stuttgart die Schlichtung zwischen Gegnern und Befürwortern als Musical. Das Stuttgarter Staatstheater brachte "Romeo und Julia" in einer Version auf die Bühne, in der sich deren Familien über Stuttgart 21 total verworfen hatten. Auch ein ARD-"Tatort" widmete sich dem Thema.

"Schwabenstreich": Nach den Montagsdemos äußern die Teilnehmer eine Minute lang ihren Protest lautstark - mit Trillerpfeifen, Schreien oder Topfdeckeln. Auch in Berlin spielen einige Unentwegte den Managern im Bahntower montags einen "Schwabenstreich"./jug/DP/zb