Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--EZB-Direktorin Isabel sieht keine Gefahr, dass die sehr akkommodierende Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) im Verein mit der expansiven Fiskalpolitik zu einem zu starken Anstieg der Inflation führen wird. In einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard warnte Schnabel andererseits vor der Wahrnehmung, dass es nie wieder Inflation geben werde. "Die Inflation ist nicht tot", sagte sie und fügte hinzu: "Dass die Inflation so viele Jahre so niedrig war, beruht auf hauptsächlich auf strukturellen Veränderungen unserer Volkswirtschaft."

Schnabel verwies in dem Interview vor allem auf die Einbeziehung Chinas in die Weltwirtschaft, die das Arbeitsangebot dramatisch erhöht und zugleich die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer und damit das Lohnwachstum eingeschränkt habe. Eine Rolle hätten auch die Digitalisierung und die mit ihr einhergehenden verbesserten Möglichkeiten zum Preisvergleich sowie die Demographie gespielt.

"Diese Faktoren könnten sich aber auch wieder ändern", warnte Schnabel. So prognostizierten Ökonomen wie Charles Goodhart eine Umkehr dieser Faktoren und einen markanten Inflationsanstieg: Die demografische Alterung könne das Arbeitsangebot reduzieren, Löhne würden steigen, die Globalisierung auslaufen, Rentner ihre Altersrücklagen auflösen und mehr konsumieren und Unternehmen ihre durch die Digitalisierung gewonnene Marktmacht für stärkere Preiserhöhungen nutzen. "Aber solche längerfristigen Trends sind sehr schwer vorherzusagen, und es kann auch alles anders kommen", sagte Schnabel.

Aktuell sieht die EZB-Direktorin keine Hinweise auf eine sich anbahnende zu hohe Inflation. "Was wir sehen, ist eine ausgeprägte Nachfrageschwäche", sagte sie. Und es bestehe die Gefahr, dass die Krise den Arbeitsmarkt nachhaltig beschädige. "Alles in allem besteht das Hauptproblem wohl eher darin, dass die wirtschaftliche Nachfrage zu gering ist, als darin, dass es zu Kapazitätsengpässen kommt, und deshalb ist es wahrscheinlicher, dass die Preise zu langsam steigen", sagte Schnabel.

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January 12, 2021 04:23 ET (09:23 GMT)