Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Großbanken des Euroraums tun sich nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) derzeit schwer damit, die Verschlechterung der Qualität ihrer Vermögenswerte angemessen zu berücksichtigen. Bei der Vorstellung der Ergebnisse des Aufsichtsprozesses SREP für 2020 wies EZB-Bankenaufsichtschef Andrea Enria darauf hin, dass viele Banken auf die gegen Jahresende eingetretene Eintrübung des Umfelds bisher nicht reagiert haben. Die Steuerung der Kreditrisiken soll 2021 eine Aufsichtspriorität der EZB sein.

"Wir gehen davon aus, dass die sozialen Einschränkungen, die im letzten Quartal 2020 notwendig geworden und immer noch in Kraft sind, den Banken zusätzliche Anstrengungen abverlangen werden", sagte Enria und fügte hinzu: "Wir werden diese Anstrengungen genau beobachten und erwarten, dass sie sich in den Daten für das vierte Quartal 2020 und Anfang 2021 widerspiegeln werden."


   Banken reagieren möglicherweise nicht ausreichend auf Eintrübung 

Laut EZB haben die Institute ihre Risikovorsorge zum größten Teil im ersten Halbjahr 2020 getroffen. Nach Enrias Aussage bestätigen die gerade verfügbar gewordenen Daten für das dritte Quartal, dass sich die Banken "auf sehr unterschiedliche Art und Weise und in manchen Fällen möglicherweise unzureichend auf eine Verschlechterung der Aktivaqualität" einstellen.

Enria wies darauf hin, dass die Zuordnung von Krediten zur Kategorie "Stage 2" - das sind Kredite mit erhöhter Ausfallwahrscheinlichkeit - bei vielen Banken der Stichprobe nur in begrenztem Maß zugenommen hat. "Dies zeigt, dass Banken dazu tendieren, signifikant steigende Kreditrisiken im Kreditportfolio nicht zu identifizieren", sagte Enria. Auch habe es Anzeichen für eine zu geringe Risikovorsorge gegeben.

Enria erklärt sich diese Neigung teilweise mit den beispiellosen Hilfsmaßnahmen von öffentlicher Seite, der besonderen Rolle von Ersparnissen und verfügbarem Einkommen während der Pandemie sowie dem Umstand, dass sich die negativen Auswirkungen von Covid-19 auf bestimmte anfällige Sektoren konzentrierten. "Dennoch müssen wir die Praktiken der Banken, die zu einer zu geringen Risikovorsorge führen, weiterhin genau im Auge behalten", sagte er.


   Banken könnten Kreditrisiken kleinrechnen 

Der Chef der EZB-Bankenaufsicht wies außerdem darauf hin, dass einige IFRS-9-Modelle für die Ausfallwahrscheinlichkeit von Krediten inzwischen weniger empfindlich auf Änderungen der Wirtschaftsleistung reagierten. "Dies könnte darauf hindeuten, dass Banken Modelländerungen vorgenommen haben, um die Messergebnisse für das Kreditrisiko künstlich zu verringern", sagte er.

Laut Enria dürfen Moratorien oder andere Stundungen Banken nicht als Rechtfertigung dafür dienen, Entscheidungen darüber, ob die Zahlung einer Verbindlichkeit als unwahrscheinlich eingestuft wird, aufzuschieben.


   Sinkende Vorsorge stützte Bankgewinne bisher 

Die Banken des Euroraums machen im Durchschnitt sehr wenig Gewinn, was an der großen Konkurrenz der Institute untereinander, aber auch an den niedrigen Zinsen liegt. In den vergangenen Jahren wurden die Gewinne der Banken vor allem von der sinkenden Risikovorsorge gestützt. Das ändert sich nun.

Die EZB hatte am Morgen mitgeteilt, dass der Fokus ihrer Aufsicht im laufenden Jahr auf der adäquaten Messung und Steuerung von Kreditrisiken liegen wird. "Da das aus der Pandemie resultierende Kreditrisiko noch nicht zum Tragen gekommen ist und einige besorgniserregende Praktiken festgestellt wurden, wird die Überprüfung des Kreditrisikos auch zu Beginn des neuen Jahres noch Priorität haben", sagte Enria.

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January 28, 2021 04:44 ET (09:44 GMT)