ALMATY (AFP)--Dutzende Tote, mehr als tausend Verletzte und 2.000 Festnahmen: Die Lage in Kasachstan hat sich weiter zugespitzt und international besorgte Reaktionen hervorgerufen. Nach Angaben der Polizei wurden bei gewaltsamen Protesten in Almaty in der Nacht zu Donnerstag "dutzende" Demonstranten getötet. Auf Seiten der Sicherheitskräfte gab es 13 Todesopfer. Während ein von Russland geführtes Militärbündnis die ersten Soldaten zur "Stabilisierung" in das Land entsandte, riefen Paris und London zur Deeskalation auf.

Kasachstan wird seit Tagen von beispiellosen Unruhen erschüttert. Proteste, die sich zunächst gegen steigende Gaspreise gerichtet hatten, weiteten sich zu regierungskritischen Massenprotesten im ganzen Land aus.

Mehr als tausend Menschen wurden seit Beginn der Proteste verletzt. Fast 400 Verletzte würden in verschiedenen Regionen des Landes im Krankenhaus versorgt, 62 Menschen befänden sich auf der Intensivstation, sagte der stellvertretende Gesundheitsminister Aschar Guinijat dem TV-Sender Chabar-24. 2.000 Menschen wurden nach Polizeiangeben in Almaty festgenommen.

Medienberichten zufolge wurden im Zuge der Unruhen auch 13 Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet. Mehr als 350 weitere Einsatzkräfte wurden demnach verletzt. Zwei Leichen seien mit abgetrenntem Kopf aufgefunden worden, sagten Behördenvertreter örtlichen Medien.

Auf Bitten von Staatschef Kassym-Schomart Tokajew starteten Kasachstans Verbündete mit Russland an der Spitze am Donnerstag eine militärische Unterstützungsmission. Die "Friedenstruppen" seien auf begrenzte Zeit nach Kasachstan geschickt worden, "um die Lage zu stabilisieren und zu normalisieren", hieß es in einer Mitteilung der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS).

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte Videoaufnahmen von Militärflugzeugen, die mit Soldaten und gepanzerten Fahrzeugen beladen Richtung Kasachstan abhoben. Der Militärallianz OVKS gehören neben Russland und Kasachstan vier weitere ehemalige Sowjetrepubliken an.

In der kasachischen Wirtschaftsmetropole Almaty war es in der Nacht zu Donnerstag zu den bislang blutigsten Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. "Extremistische Kräfte" hätten Verwaltungsgebäude sowie die Zentrale und mehrere Dienststellen der Polizei in Almaty attackiert, sagte ein Polizeisprecher russischen Nachrichtenagenturen.

Am Mittwoch hatten sich tausende Demonstranten in Almaty versammelt. Sie stürmten unter andrem das Rathaus und die Präsidentenresidenz. Auf den Straßen waren am Donnerstag ausgebrannte Autos und Patronenhülsen zu sehen. Mehrere Regierungsgebäude wurden zerstört.

Am Donnerstagabend (Ortszeit; 13.30 Uhr MEZ) flammten die Kämpfe offenbar wieder auf. In Almaty waren erneut Schüsse zu hören, wie ein AFP-Korrespondent berichtete.

Tokajew hatte wegen der Massenproteste den landesweiten Ausnahmezustand verhängt. In ganz Kasachstan gelten damit nächtliche Ausgangssperren, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie ein Versammlungsverbot. Am Mittwoch hatte der Präsident bereits die Regierung entlassen.

Tokajew warf "Terrorgruppen" vor, hinter den Protesten zu stecken. Ausgebildet würden die Gruppen "im Ausland", sagte er im Staatsfernsehen. Auch der derzeitige Vorsitzende der OVKS, Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan, erklärte, die Unruhen in Kasachstan seien durch "äußere Einmischung" ausgelöst worden.

Frankreich äußerte sich besorgt über die Gewalteskalation in Kasachstan. "Wir fordern alle Parteien - sowohl in Kasachstan als auch im Rahmen der OVKS - zur Mäßigung und zur Aufnahme eines Dialogs auf", erklärte Außenminister Jean-Yves Le Drian in Paris. Auch Großbritannien forderte ein Ende der Gewalt. Die Regierung in London warnte vor einer "weiteren Eskalation" und mahnte eine "friedliche Lösung" an.

Das Auswärtige Amt riet angesichts der angespannten Lage von "nicht dringend erforderlichen Reisen" nach Kasachstan ab und rief Menschen, die sich in Almaty aufhielten auf, zu Hause zu bleiben.

Größere Proteste im autoritär regierten Kasachstan sind selten. Die jetzigen Geschehnisse sind die bislang größte Krise in der Amtszeit Tokajews, der 2019 den langjährigen Staatschef Nursultan Nasarbajew beerbt hatte. Der inzwischen 81-jährige Nasarbajew stand von 1989 bis 2019 an der Spitze Kasachstans und kontrolliert die Politik des zentralasiatischen Landes als "Führer der Nation" nach wie vor. Nasarbajew ist ein enger Verbündeter von Russlands Präsident Wladimir Putin.

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DJG/smh

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January 06, 2022 09:41 ET (14:41 GMT)