BERLIN (dpa-AFX) - Ohne erkennbare Kompromisssignale vor allem beim Knackpunkt Zuwanderung sind die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD am Samstag in die Detailarbeit gegangen. Der designierte bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte im Deutschlandfunk, eine Begrenzung der Zuwanderung sei "essentiell". Ein großer Teil von SPD-Wählern habe bei der Zuwanderungsfrage eine ganz andere Auffassung als Teile der Parteispitze. Die SPD müsse dies annehmen.

Die SPD will bei den Verhandlungen eine weitergehende Härtefallregelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus erreichen. Die CSU lehnt dies ab.

Söder sagte, die "Schutzfunktion" des Staates könne eine Überschrift einer neuen großen Koalition sein. "Schutzfunktion im Sinne von Sicherheit bei Grenzschutz, bei Asyl, bei Zuwanderung. Und Schutzfunktion dort in den Bereichen, wo die Menschen den Eindruck haben, dass der Staat nicht mehr leistungsfähig ist", meinte er mit Blick auf die Pflege.

Der CDU-Politiker Carsten Linnemann forderte im "Spiegel", ein Koalitionsvertrag müsse schärfere Aussagen gegen muslimische Extremisten in Deutschland enthalten. "Mit dem politischen Islam wurde ein enorm wichtiges Thema im Sondierungspapier zu wenig berücksichtigt." Die wachsende Zahl von Salafisten und Gefährdern zeige die Dimension des Problems. "Wir müssen endlich wissen, wer in den Moscheen das Sagen hat, wer Träger und wer Finanzier ist."

Koalitionsunterhändler nahmen am Samstag in einzelnen Arbeitsgruppen ihre Arbeit auf, etwa zur Außen- und Verteidigungspolitik sowie zur Familienpolitik. Die geschäftsführende Familienministerin Katarina Barley (SPD) sagte der dpa: "Wir wollen die Familien und die Kinder in den Mittelpunkt unserer Politik stellen. Ich bin optimistisch, dass wir hier einiges erreichen können."

Am Sonntag sollen sich unter anderem die Arbeitsgruppen Wirtschaft, Umwelt/Energie, Innen/Recht sowie Migration/Integration treffen, wie es in Parteikreisen hieß. Union und SPD haben für ihre Koalitionsverhandlungen insgesamt 18 Arbeitsgruppen eingesetzt, die dezentral an verschiedenen Orten in Berlin zusammenkommen.

Am späten Sonntagnachmittag ist ein Treffen der Parteichefs Angela Merkel (CDU), Martin Schulz (SPD) und Horst Seehofer (CSU) geplant, am Abend will die 15 Mitglieder starke Steuerungsrunde beraten. CDU, CSU und SPD wollen ihre Koalitionsverhandlungen in insgesamt zehn Tagen bis zum 4. Februar abschließen. Zusätzlich haben sie einen Zeitpuffer von zwei weiteren Tagen vorgesehen.

Bei den Sozialdemokraten gibt es große Bedenken gegen eine neue große Koalition. Die SPD geht mit insgesamt drei Forderungen in die Verhandlungen, die über das Ergebnis der Sondierungen hinausgehen. Neben der weitergehenden Härtefallregelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen ist dies eine Einschränkung sachgrundloser Jobbefristungen sowie ein Einstieg in das Ende der "Zwei-Klassen-Medizin".

Zum Thema Gesundheit waren zuletzt Kompromisssignale aus der CDU gekommen - auch wenn die SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung weiter strikt abgelehnt wurde. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte deutlich gemacht, die Union wolle weitere Verbesserungen für gesetzlich Versicherte, ob es um die Versorgung im ländlichen Raum oder einen schnelleren Zugang zum medizinischen Fortschritt gehe.

Bundeskanzlerin Merkel sagte am Freitagabend in Greifswald, Deutschland sei in den nächsten zehn Jahren einem unglaublichen Innovationsdruck ausgesetzt. "Wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir in Deutschland schon einfach gut sind, sondern müssen schneller arbeiten und müssen entschiedener arbeiten." Sie verwies auf andere europäische Staaten, die USA oder auch China, die massiv in neue Technologien und Digitalisierung investierten.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sagte der dpa zur SPD-Forderung, die Zahl befristeter Jobs einzudämmen, dies sei "sicher nicht das zentrale Thema auf dem Arbeitsmarkt". Die zentrale Herausforderung sei: "Wir haben immer noch 2,6 Millionen Arbeitslose, obwohl es mehr als eine Million offene Jobs gibt. Es gibt genügend gute Jobs, die Unternehmen suchen nach gut qualifizierten Arbeitnehmern. Das A und O ist Qualifizierung."/rm/hoe/DP/zb