Letzten Monat war die Inflation allen noch vollkommen egal, diese Woche verhagelte sie erneut die Marktstimmung. Die Zentralbanken setzten ihren Zinsstraffungskurs fort, wobei die Bank of England und Norwegens Notenbank ihre Zinsschritte sogar verdoppelten. Das bringt die These der Anleger ins Wanken, der zufolge nichts passieren wird, sofern die aggressive Geldpolitik nicht zu lange währt. Zumindest nicht so lange, dass sie das Wirtschaftswachstum dauerhaft schädigt. Allerdings fordern die hohen Zinsen allmählich ihren Tribut. So blieben die europäischen Einkaufsmanagerindizes im Juni allesamt unter den Prognosen, und in der Industrie gingen sie deutlich zurück. Und schon geht die alte Angst vor einer Rezession oder der noch mehr gefürchteten Stagflation wieder um. Die europäischen und japanischen Aktienmärkte verloren im Wochenverlauf durchschnittlich 2,5%. Der chinesische Markt sank angesichts ausbleibender Erholungssignale um 5%. Etwas besser lief es an der Wall Street, wenngleich der in jüngster Zeit beobachtete Optimismus zu bröckeln scheint.
Wochenperformance*
STOXX EUROPE 600
453.14  -2.93%
Chart STOXX EUROPE 600
S&P 500
4348.33  -1.39%
Chart S&P 500
NIKKEI 225
32781.54  -2.74%
Chart NIKKEI 225
GOLD
1921.20$  -1.83%
Chart GOLD
BRENT OIL
74.34$  -2.26%
Chart BRENT OIL
EURO / US DOLLAR
1.09$  -0.45%
Chart EURO / US DOLLAR
Tops / Flops der Woche

TOPS

Covestro (+16%): Der deutsche Chemiekonzern hat von der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) ein Übernahmeangebot in Höhe von rund 11 Mrd. EUR erhalten. Er wies es mit der Begründung zurück, dass das Angebot unzureichend sei und sich der Bewerber für einen wesentlichen Teil der Covestro-Geschäfte als Eigentümer wohl eher nicht eigne. Nach dieser Meldung erhöhten mehrere Analysten ihr Kursziel oder stuften die Aktie hoch.

Ocado (+15%): Übernahmephantasien katapultierten den britischen Online-Lebensmittelhändler und Anbieter von Automatisierungslösungen für Warenlager diese Woche in die Höhe. Im Gespräch waren dabei gleich mehrere angebliche Kauf-Aspiranten, darunter US-Gigant Amazon. Beide Seiten bestätigten die Gerüchte nicht. Bei einem offiziellen Angebot hätte Ocado den Markt jedoch davon in Kenntnis setzen müssen. Nachdem die anfängliche Euphorie verflogen war, gab der Titel des Kooperationspartners der Supermarktkette Casino jedoch gestern wieder nach. Von seinen Höchstständen ist Ocado übrigens weit entfernt: Inzwischen rangiert der Titel 80% unter seinem Anfang 2021 erzielten Börsenrekord.

Overstock.com (+13%): Für Overstock lief es diese Woche richtig gut. Der auf Einrichtungsartikel spezialisierte Online-Händler aus den USA gewann das Rennen um einen Teil des Geschäfts von Bed Bath & Beyond. Die Haushaltswarenkette hatte im April Insolvenz beantragt. Für 21,5 Mio. USD übernimmt Overstock nun das geistige Eigentum, Rechte an mobilen Anwendungen und Geschäftsdaten des einstigen Konkurrenten. Die Filialgeschäfte und die Marke Buy Buy Baby sind nicht Teil des Deals. Kommende Woche muss zunächst noch das zuständige Insolvenzgericht der Transaktion zustimmen.

Microstrategy (+11%): Für das auf Datenanalyseprodukte spezialisierte Softwarehaus ging es diese Woche aufwärts. Grund hierfür war der Höhenflug des Bitcoin, der die Marke von 30.000 USD wieder knackte. Der US-Konzern verfügt mit 140.000 Bitcoins über den höchsten Bestand der Kryptowährung. Im Übrigen hat der CEO von Microstrategy am 16. Juni 20.000 Aktien auf den Markt geworfen und damit seine Beteiligung reduziert.

Avis Budget (+9%): Die Reisebranche nimmt wieder merklich Fahrt auf, wovon Tourismusaktien profitieren. Die Erholung macht auch vor dem Autovermieter nicht halt, dem die bessere Prognosesicherheit zugutekommt. Positiv ausgewirkt haben sich darüber hinaus die positiven Empfehlungen für Avis Budget sowie die Anhebung der Kursziele, insbesondere seitens Morgan Stanley. Die Gruppe weist bessere Margen auf als ihre Mitbewerber und hat seit dem 1. Januar 37% zugelegt.

FLOPS

SES-imagotag (-58%): Dass der französische Konzern das Schlusslicht der Wochenverlierer bildet, kommt nach der Leerverkaufsattacke diese Woche kaum überraschend. Gotham City Research hatte am Donnerstagmorgen vor Börsenstart in Europa einen belastenden Bericht veröffentlicht. Darin wirft der Shortseller dem weltweit führenden Anbieter von elektronischen Preisschildern und Managementlösungen für Großhändler Unregelmäßigkeiten in der Buchführung und undurchsichtige Beziehungen zu seinem Hauptaktionär, dem chinesischen Konzern BOE Technology, vor. Zudem werden die jüngst abgeschlossenen Lieferverträge des Unternehmens in Frage gestellt. Auf Antrag des Managements wurde der Handel mit der Aktie am Donnerstag ausgesetzt, am Freitagvormittag aber wieder aufgenommen. Der Titel musste herbe Verluste hinnehmen.

Siemens Energy (-34%): Nach der Ankündigung des deutschen Energieunternehmens, dass die Behebung der Qualitätsprobleme bei seinem Windturbinengeschäft Siemens Gamesa über mehrere Jahre Kosten von über einer Milliarde Euro verursachen könnten, verlor die Aktie am Freitagvormittag ein Drittel an Wert. Diese Probleme kommen noch zu den Schwierigkeiten der Hersteller hinzu, die sich einem Preisanstieg bei Rohstoffen und zunehmendem Wettbewerb gegenübersehen. Der Kurssturz von Siemens Energie hat auch die Wettbewerber Nordex und Vestas in Mitleidenschaft gezogen.

Getinge (-28%): In ähnlicher Lage befindet sich der weltweit führende Hersteller medizinischer Geräte für Gesundheitseinrichtungen, denn Qualitätsprobleme dürften seine Gewinne schmälern. Der schwedische Konzern hatte auf Schwachstellen bei der sterilen Verpackung seiner Herz-Lungen-Produkte und Probleme mit seinen Herzunterstützungssystemen aufmerksam gemacht. Für das 2. Quartal erwartet er einen entgangenen Gewinn von ca. 38 Mio. USD. Darüber hinaus leidet das Unternehmen weiterhin unter Engpässen bei Pumpenkomponenten.

Lanxess (-20%): Der Absturz des deutschen Chemiekonzerns erfolgte diese Woche nach seiner Ankündigung, das für 2023 erwartete EBITDA wegen der anhaltend schwachen Nachfrage und einer ausbleibenden Erholung in China nach unten zu korrigieren. Infolgedessen hat auch Deutsche Bank Research ihr Kursziel für den Titel gesenkt. Die Konkurrenten Solvay, Clariant und BASF wurden von Lanxess mit nach unten gezogen.

Lumen (-18%): Für den amerikanischen Telekommunikations- und Internetanbieter ging es bergab, nachdem ein Analyst sein Kursziel für den Konzern nach dem Investorentag des Unternehmens deutlich gesenkt hat. UBS setzt nun nur noch 2,5 USD statt 5 USD an. Dem Markt erschließen sich die Gründe für diese Abwärtskorrektur nicht, da der Konzern eine neue Produktserie - ExaSwitch - präsentiert hat, die Kunden bei der Verwaltung der Bandbreite in Rechenzentren unterstützen soll. Der Analyst weist insbesondere auf die derzeitigen wirtschaftlichen Herausforderungen und die mangelnde Prognosesicherheit in Bezug auf das EBITDA hin.

Sartorius Stedim Biotech (-15%): Der Zulieferer für die Biopharmabranche ächzt unter einer unerwartet schwachen Nachfragedynamik an seinen Märkten und musste seine ursprüngliche Prognose für 2023 einkassieren. Der Konzern rechnet für das Gesamtjahr nun mit einem Umsatzrückgang um 10% bis 15%. Auch die Vorgabe für die operative EBITDA-Marge wurde auf "etwa 30%" gesenkt. Zuvor hatte das Unternehmen mit einer stabilen Margenentwicklung gegenüber 2022 und einem Wert von ca. 35% gerechnet. In der Folge korrigierte JPMorgan sein Kursziel für den Titel nach unten.

Chart Rohstoffe
Rohstoffe

Energie: Miese Stimmung. Die Erdölpreise nähern sich erneut ihrem Tiefpunkt für dieses Jahr. Die europäische Sorte Brent kostete ca. 72 USD und die US-Sorte WTI ca. 66 USD. Die Notenbanken signalisieren dem Markt einhellig, dass der Kampf gegen die Inflation noch lange nicht zu Ende ist. Diese recht "falkenhaften" Töne drücken auf die Preise von Risikoanlagen wie etwa Erdöl. Für die Finanzmarktteilnehmer war daher der überraschende Rückgang der US-Rohölbestände um 3,8 Mio. Barrel statt des von den Analysten erwarteten leichten Anstiegs um 0,3 Mio. Barrel nur zweitrangig.

Metalle: Der Preis für eine Tonne Kupfer stieg diese Woche in London, wofür zwei Faktoren verantwortlich waren: Zum einen die neuen Signale aus Peking, das seine Wirtschaft mit der Senkung von zwei seiner Leitzinsen wieder ankurbeln will, und zum anderen der Rückgang der Bestände an der LME. Das führte dazu, dass Kupfer bei rund 8.670 USD notierte. Für Gold läuft es nicht gerade gut. Der Goldpreis leidet nach wie vor unter der Aufwertung des US-Dollars und sank auf 1.917 USD.

Agrarprodukte: Die Getreidepreise steigen wieder und blieben diese Woche in Chicago im Aufwind. Grund ist die extrem trockene Witterung in den USA, die zu geringeren Ernteerträgen führen könnte. Der Weizenpreis kletterte auf 740 Cent und Mais kostete 640 Cent je Scheffel.
Chart Rohstoffe
Makroökonomie

Marktstimmung: Man sollte sich immer wieder klarmachen, dass nicht nur eine, sondern viele verschiedene Zentralbanken um Aufmerksamkeit ringen. Den Anlegern wurde so einiges geboten, traten doch die britische, die schweizerische, die norwegische und auch die türkische Zentralbank auf die Bühne. Außerdem gab es eine kleine Sondervorstellung von US-Notenbankchef Jerome Powell. Ganz zu schweigen von den verschiedenen Anhebungen und vollmundigen Worten, um uns auf einen gemeinsamen Nenner einzuschwören: den Kampf gegen die Inflation. In Großbritannien stieg die Kerninflation (Core CPI) auf eine Jahresrate von 7,1% statt der erwarteten +6,8%. In der Türkei liegt die Teuerungsrate bei fast 40%. In der Schweiz dagegen beläuft sich die Inflation nur auf 1,9%, befindet sich damit aber dennoch auf einem zwanzigjährigen Höchststand. Da es sich um ein globales Phänomen handelt, haben wir es natürlich auch mit einer weltweiten Reaktion zu tun (mit der bemerkenswerten Ausnahme von China und Japan, die gegen den Strom schwimmen). Und so jagt eine Zinserhöhung die nächste. Vor diesem Hintergrund wird die Fed im Juli mit einer Wahrscheinlichkeit von über 75% wieder an der Zinsschraube drehen. Die Rendite zweijähriger US-Treasuries liegt weiterhin deutlich über 4,23% und könnte neue Rekordmarken erreichen.

Devisen: Die Zinsentwicklung konnte den Devisenmärkten diese Woche kaum Impulse verleihen. So profitierten die norwegische Krone und das Pfund Sterling kaum von der aggressiven Haltung der Zentralbanken der Länder. Der US-Dollar punktete gegenüber dem Yen, fiel aber gegenüber dem Euro bis auf die Schwelle von 1,10 USD zurück. Die am Freitag veröffentlichten schwachen europäischen Einkaufsmanagerindizes stoppten jedoch den Aufwärtstrend der Gemeinschaftswährung, die sich zum Wochenschluss bei 1,0877 USD einpendelte. Auch gegenüber der türkischen Lira legte der Greenback auf 25,5520 TRY zu, nachdem die Währungshüter des Landes eine Leitzinsanhebung von 8% auf 15% verkündet hatten, um die Geldpolitik mit dem Amtsantritt der neuen Notenbankchefin in normalere Bahnen zu lenken.

Kryptowährungen: Angesichts der geplanten Lancierung von Bitcoin-Spot-ETFs durch institutionelle Akteure wie BlackRock, Wisdom Tree, Bitwise oder Invesco erholte sich der Bitcoin diese Woche deutlich. Die marktführende Kryptowährung stieg um über 14% und lag bei Redaktionsschluss wieder über der 30.000-Dollar-Marke, also in der Nähe der Jahreshöchststände. Auch der Ether legte seit Montag um immerhin 9% zu und erreichte zum Wochenschluss erneut knapp 1.900 USD. Die in den letzten Tagen unter den institutionellen Anlegern gestiegene Bitcoin-Begeisterung (vor allem die des Investmentriesen BlackRock) könnte den Krypto-Assets wieder Auftrieb verleihen, sofern die ETF-Anträge von der US-Aufsichtsbehörde genehmigt werden.
Kurs und Volumen
Die Inflation ist noch nicht gebannt
Kommende Woche werden sich erneut zahlreiche Mitglieder von Zentralbanken aus allen Kontinenten zu Wort melden. Außerdem stehen drei wichtige Konjunkturdaten auf dem Programm: der US-Verbrauchervertrauensindex des Conference Board (Dienstag), die erste Schätzung zur Inflation in Deutschland im Juni (Donnerstag) sowie die US-Verbraucherpreisinflation (Freitag). Auch andere Zahlen werden mit Spannung erwartet, unter anderem die chinesischen Einkaufsmanagerindizes (in der Nacht von Donnerstag auf Freitag). Wir wünschen Ihnen allen ein schönes Wochenende!
*Die Wochenperformance der Indizes und Aktien bezieht sich auf den Zeitraum von der Eröffnung der Märkte am Montag bis zur Erstellung dieses Newsletters am Freitag.
Die Wochenperformance von Rohstoffen, Edelmetallen und Währungen bezieht sich auf den 7-Tage-Zeitraum von Freitag bis Freitag (bis zur Erstellung des Newsletters). Diese Vermögenswerte notieren auch an Wochenenden.