Von Stephen Wilmot

LONDON (Dow Jones)--Nach ihrem bemerkenswerten Lauf könnten europäische Aktien eine Verschnaufpause einlegen. Am Dienstag stieg der Einkaufsmanagerindex für die Eurozone für Januar auf 50,2 Punkte von 49,3 im Dezember. Das deutet darauf hin, dass die europäische Wirtschaft nach sechs Monaten wieder in den Wachstumsbereich zurückgekehrt ist - wenn auch nur knapp. Das sind gute Nachrichten, aber ist das genug, um den ungewöhnlich starken Optimismus zu rechtfertigen, der zuletzt europäische Aktien umgab? Möglicherweise nicht.

Der Stoxx Europe 600, der als Index die wichtigsten europäischen Aktien abbildet, hat in Dollar gerechnet über die vergangenen drei Monate um 24 Prozent zugelegt. Zum Vergleich: Der S&P 500 in den USA kam im gleichen Zeitraum nur auf ein Plus von 6 Prozent. Sowohl Aktien als auch der Euro waren stark, was nicht oft vorkommt. Mehr Fondsmanager haben ihre Portfolios so deutlich auf europäische Aktien ausgerichtet wie sie es seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar vergangenen Jahres nicht getan haben, geht aus einer Umfrage der Bank of America hervor.

Eine Reihe guter Nachrichten erfreut die Anleger: Ein milder Winter hielt die Energiekrise im Zaum, und die chinesische Abkehr von der Null-Covid-Politik nährt die Hoffnung eines stärkeren globalen Wachstums, auf das die europäischen Unternehmen stärker angewiesen sind als die amerikanischen. Ob Chinas Wiedereröffnung geordnet oder ungeordnet erfolgt, wird dieses Jahr ein bestimmender Faktor werden für wichtige europäische Wirtschaftssektoren wie Luxusgüter und Autos.


 Kreditzinsen steigen 

Als noch entscheidender könnten sich jedoch die Folgen der Zinserhöhungen erweisen, die mit Verzögerung wirken. Für den Investmentstrategen Sebastian Raedler von Bank of Amerika ist "die schärfste geldpolitische Straffung seit 40 Jahren" das, was die europäische Wirtschaft derzeit wirklich zurückhält - nicht der Energiepreischock, der ohnehin nachlässt. Umfragen signalisieren, dass sich die Kreditbedingungen in Europa bereits verschlechtern.

In den Äußerungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde gibt es keine Anzeichen dafür, dass sie von ihrem Plan abweichen könnte, die Zinsen zur Bekämpfung der Inflation weiter zu erhöhen. In Davos sagte sie in der vergangenen Woche, sie werde bei ihrem Kurs bleiben und wiederholte dies bei einer Veranstaltung der Deutschen Börse am Montag in Eschborn.

2022 wurde der Aktienmarkt hauptsächlich von den Bewertungen durch steigende Realzinsen beeinflusst. Das half den europäischen Indizes, stärker zu steigen als der S&P 500, denn hierzulande gibt es weniger von jenen hochbewerteten Wachstumsaktien, die sensibler auf Zinsänderungen reagieren, und dafür mehr zyklische Titel. Der britische Leitindex FTSE 100, der einen überdurchschnittlichen Anteil an Rohstoffaktien aufweist, die dem breiten Trend entkommen konnten, stand entsprechend im Januar vor einem Rekordhoch.


 Großbritannien könnte Vorbote sein 

Aber der wahrscheinlichste Effekt, den steigende Zinsen auf die Gewinne der Unternehmen haben, wird sich erst noch zeigen. In Großbritannien, wo es mit den Zinserhöhungen früher losging als in der Eurozone, schwächt sich die Wirtschaft bereits ab. Der Einkaufsmanagerindex für Januar lag bei 47,8 Punkten und damit auf dem niedrigsten Stand seit zwei Jahren.

Der hohe Anteil zyklischer Unternehmen in Europa dürfte sich bei einem konjunkturellen Abschwung als negativ für den Aktienmarkt erweisen. Und wenn dann auch noch die US-Notenbank Fed auf schlechte Wirtschaftsdaten reagieren, ihren Kurs ändern und die Zinsen senken sollte, könnte das den US-Wachstumsaktien einen Schub verleihen - zu Lasten der europäischen Zykliker.

Die europäische Wirtschaft steht derzeit irgendwo zwischen der Energiekrise und einem sich eintrübenden Kreditzyklus. Die relative Ruhe ist eine gute Gelegenheit, Geld aus dem Spiel zu nehmen.

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(END) Dow Jones Newswires

January 25, 2023 04:36 ET (09:36 GMT)