Von Justin Lahart

WASHINGTON, D.C. (Dow Jones)--Ein wirtschaftlicher Abschwung ist in der Regel furchtbar für arme Menschen, schlecht für die Mittelschicht und unangenehm für die Reichen. Wenn aber die Wirtschaft im Jahr 2023 in eine Rezession gerät oder einer solchen nur knapp entkommt, könnten die Wohlhabenden stärker leiden als sonst. Das wäre dann die Rezession der Reichen.

Abgesehen von einigen wenigen Asketen ist niemand gerne arm. Verzicht zu üben oder mit so geringen Rücklagen zu leben, dass bei Krankheit oder Arbeitsplatzverlust die Existenz auf dem Spiel steht, ist eine ständige Quelle von Stress. Dennoch waren für viele ärmere Menschen die Jahre der Covid-Krise finanziell etwas einfacher als die Zeit davor. Mehrere Runden staatlicher Unterstützungsleistungen halfen ihnen, die erste Phase der Pandemie zu überstehen, und jetzt beschert ihnen ein angespannter Arbeitsmarkt Lohnzuwächse, dank derer die Inflation nicht ganz so arg durchschlägt.

Die Zahlen der Federal Reserve zeigen, dass das Nettovermögen der Haushalte im unteren Fünftel nach Einkommen im dritten Quartal um 42 Prozent höher war als Ende 2019 und um 17 Prozent höher als Ende 2021. Ein von der Federal Reserve Bank of Atlanta entwickelter Lohntracker sagt, dass der gleitende Zwölfmonatsdurchschnitt des annualisierten monatlichen Lohnwachstums für Arbeitnehmer im untersten Einkommensquartil im November 7,4 Prozent betrug.

Die prozentualen Zuwächse für die Reichen waren hingegen schwächer, da sie von einer viel höheren Basis ausgingen. Das Nettovermögen der privaten Haushalte des obersten Fünftels war im dritten Quartal um 22 Prozent höher als vor der Pandemie und sank gegenüber dem Spätjahr 2021 um 7,1 Prozent. Schuld daran war vor allem der siechende Aktienmarkt. Auch die Gehälter sind nicht so stark gestiegen: Laut der Atlanta Fed betrug das durchschnittliche monatliche Lohnwachstum für Arbeitnehmer im obersten Quartil 4,8 Prozent.


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Hinzu kommt, dass die jüngsten Entlassungen vor allem Arbeitnehmer mit höherem Einkommen betrafen. Viele der Technologieunternehmen, die mit der Ankündigung von Entlassungen Schlagzeilen gemacht haben, zahlen extrem gut. Aus frei einsehbaren Unterlagen, den sogenannten SEC Filings, geht zum Beispiel hervor, dass der Median der Beschäftigten bei der Facebook-Muttergesellschaft Meta Platforms im Jahr 2021 295.785 US-Dollar verdiente, während der durchschnittliche Beschäftigte bei Twitter mit 232.626 Dollar nachhause ging. Entlassungen in Unternehmen, in denen der typische Arbeitnehmer weniger gut bezahlt wird, so zum Beispiel bei Amazon, betrafen hauptsächlich Büroangestellte.

Der Trost für geschasste Arbeitnehmer mit höherem Einkommen ist, dass es für sie relativ einfach sein dürfte, eine neue Arbeit zu finden, während ärmere Menschen in einer solchen Situation stärker zu kämpfen haben. Das liegt daran, dass die beruflichen Qualifikationen der höher Gebildeten im Allgemeinen besser übertragbar sind als die Qualifikationen anderer Arbeitnehmer. Trotzdem fallen auch Entlassungen von Topverdienern in eine Zeit der Sparmaßnahmen, sodass Einkommensverluste am neuen Arbeitsplatz wahrscheinlich werden.

Obwohl die Entlassungen in großen Unternehmen für Schlagzeilen sorgten, haben sie sich bislang nicht sonderlich auf die Beschäftigungsstatistiken insgesamt ausgewirkt. Das liegt zum Teil daran, dass Branchen, die auf dem Aktienmarkt nicht so stark vertreten sind und in denen in der Regel mehr Arbeitnehmer mit niedrigem und mittlerem Einkommen beschäftigt sind, nach wie vor Schwierigkeiten haben, Mitarbeiter zu finden.

Im November fehlten im Freizeit- und Gastgewerbe 980.000 Arbeitsplätze, um das Beschäftigungsniveau vom Februar 2020 zu erreichen. Die Beschäftigung im Gesundheits- und Sozialwesen erreichte erst im September 2022 wieder das Niveau vor der Pandemie. Es handelt sich hierbei um eine Beschäftigungskategorie, die zum Teil aufgrund der Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung selbst dann noch zunahm, als die Gesamtarbeitslosigkeit in den USA nach der Finanzkrise 2008 in die Höhe schoss. Um an den Wachstumstrend des Jahrzehnts vor der Pandemie anzuknüpfen, müssten in dieser Kategorie etwa 1,1 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen.

Dieser Bedarf an Arbeitskräften - zumal immer mehr Amerikaner nicht auf Dienstleistungen wie Restaurantbesuche verzichten möchten - ist einer der Gründe, warum selbst unter den Ökonomen, die für das kommende Jahr eine Rezession erwarten, viele davon ausgehen, dass der Arbeitsmarkt nicht so stark leiden wird. Auch deshalb sind ärmere Amerikaner in einer besseren Position als sonst, um mit einer schwachen Wirtschaft klarzukommen. Sie sind nicht nur finanziell relativ gut gestellt, sondern müssen sich auch weniger Sorgen um einen signifikanten Abbau von Arbeitsplätzen machen.

Zu Beginn des neuen Jahres könnten Unternehmen mit den Wohlhabenden als Zielgruppe eine Enttäuschung erleben, während jene, die sich eher an die breite Masse als an die Reichen wenden, besser abschneiden dürften. Und sollte es tatsächlich zu einer Rezession kommen, werden Arm und Reich am Ende vielleicht nicht mehr ganz so weit auseinanderliegen.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

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January 03, 2023 03:24 ET (08:24 GMT)