Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen Deutschland, nachdem nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen gegen zu hohe Stickoxidwerte in Städten unternommen wurden, hat die Bundesregierung erreichte Fortschritte unterstrichen und eine baldige Erfüllung aller Vorgaben in Aussicht gestellt. "In Deutschland haben wir in den letzten Jahren viel für die Luftqualität erreicht", erklärte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) in einem schriftlichen Statement auf Anfrage von Dow Jones Newswires.

2016 seien die Grenzwerte noch in 90 Städten teils erheblich überschritten worden. "Im Jahr 2020 reißt nur noch ein Bruchteil davon die Latte - das ist ein großer Erfolg", meinte Schulze. Dennoch seien sechs Städte mit Grenzwertüberschreitung immer noch sechs Städte zu viel. "Daher unterstützt die Bundesregierung auch weiterhin alle Kommunen, damit wir das EU-Ziel schon bald vollständig erfüllen und unseren Erfolg dauerhaft sichern."

Entscheidend für die positive Entwicklung seien die Maßnahmen zur Luftreinhaltung von Bund und Ländern gewesen. Außerdem sorgten die neuen Abgasnormen für Diesel-Pkw für mehr saubere Fahrzeuge auf der Straße und nicht nur auf dem Prüfstand. Über das Sofortprogramm "Saubere Luft" stelle der Bund insgesamt 1,5 Milliarden Euro bereit, damit die Busflotte des Öffentlichen Personennahverkehrs elektrisch werde oder Diesel-Busse nachgerüstet würden. Auch die Maßnahmen der Städte, wie Tempo-30-Zonen und die Nachrüstung von Bussen des ÖPNV, leisteten "einen wichtigen Beitrag für die Luftqualität vor Ort".

Das Bundesverkehrsministerium erklärte ebenfalls, durch das Sofortprogramm "Saubere Luft" des Ministeriums "verbessert sich die Luftqualität in den Städten kontinuierlich und deutlich". Die Zahl der belasteten Städte sei von 90 im Jahr 2016 auf nur noch sechs im Jahr 2020 gesunken. "Mit Durchführung aller Maßnahmen des Programms 'Saubere Luft' ist mit einer weiteren Verbesserung zu rechnen", so das Haus von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in seiner Stellungnahme auf Anfrage.


Umwelthilfe droht mit weiteren Klagen 

Die Deutsche Umwelthilfe nannte das Urteil hingegen "eine schallende Ohrfeige für die Diesellobbyisten auf der Regierungsbank". DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch forderte eine Neuausrichtung der Mobilität in den Städten, eine schnelle Umwidmung von Straßenflächen in geschützte Radwege und Stilllegung beziehungsweise Hardware-Nachrüstung von knapp zehn Millionen Dieselautos auf Kosten der Hersteller. Nach dem Urteil erwarte man kurzfristige Maßnahmen der verbleibenden Städte. "Wenn nicht, werden wir diese wie in Stuttgart mit Vollstreckungsmaßnahmen kurzfristig gerichtlich durchsetzen", so Resch.

Die Grünen sahen in dem EuGH-Urteil "die nächste Klatsche für die Bundesregierung". Das Gericht dokumentiere das jahrelange Versagen, die Bevölkerung ausreichend vor Abgasen zu schützen, erklärten Fraktionsvize Oliver Krischer und die Sprecherin für Umweltpolitik, Bettina Hoffmann. "Bei den Stickoxidwerten in Innenstädten kann man noch keine Entwarnung geben." Das Urteil fordere die Bundesregierung zu konkreten Maßnahmen auf, dass in allen Städten die NO2-Grenzwerte eingehalten werden - und zwar zeitnah. "Der Verkehrsminister muss die Hände aus der Tasche holen", mahnten sie.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bezeichnete das Urteil als "Folge einer noch immer verfehlten Verkehrspolitik". DIW-Energieökonomin Claudia Kemfert betonte, "dass Deutschland in puncto Luftreinhaltung in den Städten enormen Nachholbedarf hat". Die Bundesverkehrswegeplanung und Straßenverkehrsordnung sollten gezielt angepasst und strikt auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Nötig sei auch eine integrierte Mobilitätsplanung, die auf Verkehrsvermeidung, -verlagerung und -optimierung setze. Auch solle Deutschland ab sofort eine E-Auto-Quote von 25 Prozent und ab 2025 von 50 Prozent aller Neuzulassungen einführen.

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June 03, 2021 08:32 ET (12:32 GMT)