Von Olaf Ridder

FRANKFURT (Dow Jones)--Bayer will mit seinem potenziellen neuen Blutverdünner mindestens an die Erfolge des Vorgängers Xarelto anknüpfen, dessen Patente bald auslaufen. Der Medikamentenkandidat mit dem Namen Asundexian, für den im Sommer zwei entscheidende klinische Phase-III-Studien gestartet wurden, soll in der Spitze mehr als 5 Milliarden Euro Jahresumsatz liefern, wie Pharma-Chef Stefan Oelrich anlässlich der diesjährigen J.P. Morgan Healthcare-Konferenz in San Francisco mitteilte.

Für die vier wichtigsten potenziellen Wachstumstreiber im Pharma-Portfolio der Zukunft zusammen - neben Asundexian auch das Nierenmedikament Kerendia, das Prostatakrebspräparat Nubeqa und der noch in der Entwicklung befindliche Menopause-Wirkstoff Elinzanetant - prognostiziert Bayer nun Spitzenumsätze von mehr als 12 Milliarden statt wie zuvor mehr als 5 Milliarden Euro. Ursächlich dafür ist auch, dass die Umsatzerwartungen an Kerendia hochgenommen wurden: In der Spitze verspricht sich Bayer von dem Mittel zur Behandlung nierenkranker Diabetiker mehr als 3 Milliarden Euro Einnahmen jährlich und nicht wie bisher mehr als 1 Milliarde Euro.

Die Kerendia-Verschreibungskurve der Ärzte in den USA, wo das Mittel bereits seit 2021 zugelassen ist, zeige extrem nach oben, begründete Oelrich die optimistischere Einschätzung im Interview mit Dow Jones Newswires. Hier sei eine der erfolgreichsten Markteinführungen auf dem US-Markt gelungen. Der Manager sieht dadurch all jene Skeptiker widerlegt, die Bayer einen solchen Rollout ohne bestehende Vertriebsorganisation für dieses Geschäft in den USA nicht zugetraut hatten. Auch in China, wo die Zulassung nur ein halbes Jahr zurückliegt, habe man bereits einen Preis für das Medikament, der zweite Markt mit "Riesen-Potenzial".

Mit der Prognose für den Gerinnungshemmer Asundexian, mit dem Bayer seine starke Position im lukrativen Markt mit kardiovaskulären Erkrankungen mindestens verteidigen will, stellt Oelrich die Erwartungen der meisten Analysten deutlich in den Schatten. Laut Citi-Analyst Peter Verdult rechneten diese im Schnitt nur mit 1 bis 2 Milliarden Dollar Peak Sales. Verdult selbst ist mehr als 6 Milliarden Dollar schon länger deutlich optimistischer.

Asundexian wird derzeit in der zulassungsrelevanten Studie III als Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern untersucht, aber auch bei bestimmten Patienten, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben. Bis zu 30.000 Studienteilnehmer sind geplant. "Wir rekrutieren schnell und früh, und wir glauben, dass wir das Rennen hoffentlich gewinnen können", sagt Oelrich.

Denn für die noch junge Wirkstoffklasse der XIa-Hemmer gibt es mit Bristol-Myers Squibb (BMS) auch einen potenten Konkurrenten. Der US-Konzern treibt zusammen mit der Johnson & Johnson-Tochter Janssen den vergleichbaren Wirkstoff Milvexian voran, hat aber anders als Bayer noch nicht die Phase-III-Studie gestartet. "Wir haben uns jetzt da einen Vorsprung erarbeitet, den wollen wir auch beibehalten", sagt der Bayer-Manager.

2026 will Bayer mit dem Mittel auf den Markt kommen: Erster in dieser neuen Wirkstoffklasse zu sein, wäre ein echter Vorteil auf dem 30-Milliarden-Dollar-Markt. Anders als beim Xarelto-Wirkstoff Rivaroxaban entwickelt Bayer Asundexian nämlich allein und kann mit den weltweiten Rechten das volle Potenzial des lukrativsten Pharmamarktes USA ausbeuten.

Darüber hinaus greifen Faktor-XIa-Hemmer an anderer Stelle in die Blutgerinnung ein als die etablierten Mittel. Das Risiko unerwünschter Blutungen sinkt, wodurch es auch für Hochrisikopatienten infrage kommt. "Ich glaube, dass Patienten, die durch existierende Medikamente nicht vernünftig bedient werden, sofort in den Fokus von Asundexian geraten", sagte Oelrich. "Und dann werden auch alle, die Antikoagulazien nehmen und schon mal einen Blutfleck auf der Hand hatten, dieses Risiko ausschalten wollen."

Vorgänger Xarelto ist seit 2014 Bestseller unter den Medikamenten des Bayer-Konzerns. 2021 spülte das Medikament weltweit 4,7 Milliarden Euro in die Kassen - fast ein Viertel der Pharma-Einnahmen insgesamt und so viel wie nie zuvor. Doch das ändert sich. Wenn Bayer in Kürze die Bilanz für 2022 vorlegt, wird sich zeigen, dass die Einnahmen erstmals rückläufig waren: In Brasilien ist der Patentschutz nämlich schon ausgelaufen und in China der Erstattungspreis aufgrund von Ausschreibungsverfahren deutlich gesunken.

In den nächsten zwei bis drei Jahren werden sich die Umsatzverluste noch verstärken. Kurzfristig setzt Oelrich deshalb auf das Wachstum von Nubeqa und Kerendia sowie darauf, dass das Augenmedikament Eylea - das zweitwichtigste Pharmaprodukt von Bayer - mit dem neuen, längeren Dosierungsintervall von 16 Wochen konkurrenzfähig und ein Umsatztreiber bleibt. "Wir haben mit Eylea 8 Milligramm noch ein zweites Leben bekommen für das Medikament, wenn Sie so wollen", so Oelrich.

Längerfristig sollen dann die Zukäufe, die seit seinem Amtsantritt 2018 getätigt wurden, das Wachstum im Pharmageschäft bringen - etwa die Zell- und Gentherapieplattformen von BlueRock und AskBio, mit denen Bayer neben Krebserkrankungen verstärkt auch seltene Erkrankungen ins Visier nehmen will, oder die Biotechfirma Vividion, die in der Immunologie unterstützen soll. Das bisher wichtigste Projekt einer Behandlung für die verbreitete Parkinson-Erkrankung soll im Sommer Zwischendaten aus der ersten klinischen Phase liefern. Er sei "sehr positiv gestimmt", sagt der Bayer-Pharmachef. Doch auch wenn alles gut geht, wird es für die zugekauften Forschungsplattformen noch bis zum Ende der Dekade dauern, bis ihre Entwicklungen Erträge liefern - vielleicht sogar bis Anfang des nächsten Jahrzehnts. Sehen wird man die Erfolge nach Oelrichs Worten zunächst bei den klinischen Studien: Aufs Jahr gesehen soll ihre Zahl künftig mindestens zweistellig ergänzt werden.

Kontakt zum Autor: olaf.ridder@wsj.com

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January 10, 2023 08:00 ET (13:00 GMT)