- von Jörn Poltz

München (Reuters) - Im Betrugsprozess um die milliardenschwere Wirecard-Pleite hat der frühere Chefbuchhalter des Finanzkonzerns die Staatsanwaltschaft und deren Kronzeugen attackiert.

Der geständige Mitangeklagte Oliver Bellenhaus habe manipuliert und gelogen, sagte der Angeklagte Stephan von Erffa am Mittwoch vor dem Landgericht München. "Er ist gut im Lügen und Verdrehen." Erffa brach damit nach eineinhalb Jahren sein Schweigen. Der Staatsanwaltschaft warf er - wie zuvor Ex-Wirecard-Chef Markus Braun - vor, bei ihren Ermittlungen voreingenommen gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage gegen die drei Männer unter anderem auf ein Geständnis von Bellenhaus, in dem dieser seine Mitangeklagten schwer belastet hatte.

Erffa sagte, Bellenhaus empfinde Hass auf ihn, da er von dem Manager regelmäßig Unterlagen für die Buchhaltung angefordert habe. Da sie nicht existiert hätten, habe Bellenhaus sie gefälscht. "Er war Chaot", sagte Erffa. Deswegen habe er bei Bellenhaus auch nie den Eindruck von Auffälligkeiten gehabt. "Einfach alles kam zu spät." Dabei habe sich Bellenhaus nach seinem Eindruck zunächst in der Zentrale bei München und später als Statthalter in Dubai um Wirecard verdient gemacht habe. Bellenhaus sei jedoch ein hemdsärmliger "Vertriebstyp" gewesen und kein "sorgfältiger Bankkaufmann". Bellenhaus hatte in dem Prozess angegeben, er habe auf Anweisung von Erffa Unterlagen nach den Vorstellungen aus der Konzernzentrale gefälscht.

"Ich sehe selbst, dass ich leider auch Fehler gemacht habe, die ich bereue", sagte Erffa. Dafür entschuldige er sich. Als Abteilungsleiter habe er sich auf seine Fachleute verlassen und auf die Informationen, die ihm Bellenhaus und andere Abteilungen zugeliefert hätten. "Ich kam mir zeitweise wie ein Jongleur vor, der voll darauf fokussiert war, dass ja kein Ball herunterfällt, der aber keine Gelegenheit hatte, sich mit den Bällen eingehend zu befassen", sagte der 49-Jährige.

Anders als Braun und Bellenhaus hatte Erffa seit Prozessbeginn im Dezember 2022 geschwiegen. "Grund war mein Gefühl, dass man mir nicht zuhört", sagte er. "Ich hatte den Eindruck, das entlastende Beweise nicht gewünscht waren." So habe die Staatsanwaltschaft ihm Schäden an einem dienstlichen iPad als versuchte Vernichtung eines Beweismittels angelastet, obwohl es ihm nur heruntergefallen sei. Dass er das Tablet vor der Rückgabe an seinen Arbeitgeber vorschriftsgemäß auf die Werkseinstellungen zurückgesetzt habe, hätten ihm die Ermittler als Datenlöschung angelastet. Erffa saß wegen des Vorwurfs der Verdunkelungsgefahr vorübergehend in Untersuchungshaft. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte am Rande des Prozesses, dieser Verdacht habe sich zwar bei dem iPad nicht bestätigt, wohl aber in anderen Fällen.

Das Gericht hat allein für Erffas erste Ausführungen zwei Tage eingeplant. An weiteren Tagen will er Fragen beantworten. Seine Anwälte hatten dies als Beitrag zur Aufklärung, aber nicht als Geständnis bezeichnet. Die rund 100 Zuschauerplätze im Gerichtssaal im Münchner Gefängnis Stadelheim waren zeitweise vollständig besetzt, die Verhandlung begann wegen des Andrangs mit Verspätung. "So viel Aufmerksamkeit hatten wir, glaube ich, nicht mal am ersten Tag", sagte der Vorsitzende Richter Markus Födisch.

"ICH BIN KEIN BUCHHALTER"

Erffa, der unmittelbar dem Finanzvorstand unterstand und Prokurist war, beschrieb seine Arbeit als sehr belastend. "Es war immer so, das zwei Leute gleichzeitig etwas von mir wollten. Ich bin kein Buchhalter", erklärte der Wirtschaftsingenieur. Seine Aufgabe sei es gewesen, Prozesse zu verbessern. "Das ist meine Stärke." Fachlich habe er sich auf seine Mitarbeiter verlassen, darunter Wirtschaftsprüfer, sowie auf Informationen aus anderen Abteilungen. Beim Vorstand habe er sich wiederholt über mangelhafte Ausstattung seiner Abteilung und zu wenig Personal beklagt.

Der Dax-Konzern Wirecard war 2020 zusammengebrochen, als aufflog, dass auf Treuhandkonten in Asien 1,9 Milliarden Euro fehlten. Es ist einer der größten Finanzskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Staatsanwaltschaft bezeichnet Braun, Bellenhaus und Erffa als Bande, die milliardenschwere Geschäfte mit sogenannten Drittpartnern (TPA) erfunden habe. Sie spricht von Betrug, Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Untreue.

Braun und Bellenhaus beschuldigen sich gegenseitig. Während Bellenhaus als geständiger Kronzeuge von gemeinsamen Fälschungen im großen Stil spricht, weist Braun die Vorwürfe zurück. Das TPA-Geschäft habe existiert, Bellenhaus und das untergetauchte Vorstandsmitglied Jan Marsalek hätten die fehlenden Milliarden aber veruntreut.

Erffa sagte am Mittwoch, das TPA-Geschäft habe nur einen sehr kleinen Teil seiner beruflichen Tätigkeit ausgemacht. Es gehörte nach früheren Angaben zu Marsaleks Bereich. Erffa sagte, mit Braun und Marsalek habe er nur selten Kontakt gehabt. "Dr. Braun hatte als Führungskraft in meinen Augen etwas Unnahbares", sagte Erffa. "Ich hatte das Gefühl, dass Dr. Braun sehr weit weg vom operativen Geschäft war." An Marsalek habe er sich nur gewandt, wenn Bellenhaus Belege nicht oder nicht rechtzeitig an die Buchhaltung geliefert habe.

(Bericht von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)