- von Alexander Hübner

Der 61-Jährige umriss am Donnerstag in München die Strategie "Vision 2020+", die Siemens über seinen Abschied Anfang 2021 hinaus prägen soll. Aus bisher fünf Industriesparten sollen drei weitgehend selbstständige Unternehmen werden, die sich mit Energietechnik, Infrastruktur- und Gebäudetechnik sowie mit der Digitalisierung der Industrie befassen. Wieviel strategischen Handlungsspielraum die Sparten und deren Manager bekommen sollen, ließ Kaeser offen: "Das hängt ganz von der Performance ab. Erst einmal haben sie unser ganzes Vertrauen, dass sie es hinkriegen." An weitere Börsengänge sei derzeit jedenfalls nicht gedacht.

Der Konzern soll auf diese Weise schneller wachsen und mehr Rendite abwerfen als bisher. Die Zentrale, in der Zehntausende Siemensianer das Konglomerat mit mehr als 370.000 Mitarbeitern steuern, soll schlanker werden und Kompetenzen an die Sparten abgeben. Kaeser wich der Frage aus, wie viele Beschäftigte von dem Umbau betroffen sind. "Wir nehmen uns Zeit, um das in die neue Struktur zu bringen." Börsianer zeigten sich enttäuscht, die Siemens-Aktie gab zeitweise fünf Prozent auf 114 Euro nach. Der erhoffte "große Wurf" sei das nicht, urteilte Sven Diermeier von Independent Research.

DAS MACHBARE UND DAS WÜNSCHENSWERTE

Portfoliomanager Christoph Niesel von Union Investment sieht die "Vision 2020+" grundsätzlich positiv: "Die neue Strategie geht in die richtige Richtung." Enttäuschend sei aber, dass der Konzern keine Zahlen nenne, was sie an Kosteneinsparungen und Effizienzgewinnen bringen soll. Kaeser machte deutlich, dass es ihm um einen Ausgleich der Interessen von Aktionären, Kunden und Mitarbeitern gegangen sei. "Man muss die Balance finden zwischen dem Machbaren und dem Wünschenswerten."

Während die Finanzmärkte Konglomerate kritisch sehen, haben Mitarbeiter Angst vor einer Zerschlagung. Er sei zu alt, um sich auf eine Seite zu schlagen, sagte Kaeser. Er sehe sich nicht als reiner Portfolio-Manager. Die Entscheidung im Aufsichtsrat sei einstimmig gefallen. IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner, der dem Gremium angehört, sagte, aus Siemens dürfe keine Holding werden. "Das Filetieren von Konzernen mit breitem Portfolio ist momentan zwar ein beliebtes Spiel der Finanzmärkte, ein Unternehmen wie Siemens kann jedoch aus eigener Stärke agieren." Die Strategie sei richtig. "Wichtig ist dabei, alle Beschäftigten mitzunehmen und Arbeitsplatzängste zu vermeiden."

Die neue Strategie lasse bewusst Gestaltungsspielraum für die nächste Generation von Managern, das Geschäft weiter zu fokussieren, machte Kaeser klar. In dem achtköpfigen Vorstand, der in der Zusammensetzung unverändert bleibt, bekommt Roland Busch zum neuen Geschäftsjahr 2018/19 (ab Oktober) eine herausgehobene Rolle. Als Chief Operating Officer (COO) ist der bisherige Technologie-Chef für das Tagesgeschäft zuständig. Die Funktion gab es bisher nicht. Der 53-jährige Busch gilt neben Michael Sen, der die Beteiligungen managt, als Favorit für die Nachfolge Kaesers.

REIF FÜR MEHR FREIHEIT

Vor vier Jahren hatte Kaeser in der "Vision 2020" noch viele Funktionen zentralisiert. Damals seien die Sparten nicht reif für mehr Freiheit gewesen, sagte er. Nun legt Siemens die Latte für die drei großen Industriesparten und die ausgegliederten Töchter Siemens Healthineers (Medizintechnik), Siemens Gamesa (Windkraft) und die vor der Fusion mit dem französischen Rivalen Alstom stehende Zug-Sparte höher. Im Konzern sind mittelfristig operative Umsatzrenditen (Ebita-Marge) von 11 bis 15 Prozent das Ziel, zuletzt hatte Siemens 11 bis 12 Prozent im Auge. Der Umsatz soll um vier bis fünf Prozent pro Jahr wachsen statt wie bisher geplant um zwei bis drei.

Mehrere kleinere Problemfälle, etwa die Post- und Flughafen-Automatisierung, bündelt Siemens in einer eigenen Einheit. Dazu kommt die Tochter Flender, die mechanische Antriebe herstellt. Sie stünden nicht zum Verkauf, betonte Kaeser. Auszuschließen sei das aber nicht. Die Firmen mit zusammen fünf Milliarden Euro Umsatz und 21.000 Mitarbeitern sollen zunächst auf Rendite getrimmt werden. Schon 2020 sollen die Verluste von zuletzt 300 Millionen Euro der Vergangenheit angehören. Darum kümmern soll sich Jürgen Eickholt, der zuletzt die Zug-Sparte saniert hatte.

Das dritte Quartal sei "relativ ereignislos" gewesen, sagte Kaeser. Das Ergebnis aus dem Industriegeschäft erreichte 2,21 Milliarden Euro und war damit zwei Prozent höher als im Vorjahr. Der schwache Dollar knabberte am Umsatz und am Auftragseingang. Trotzdem lagen die neuen Orders mit 22,8 Milliarden Euro um 16 Prozent über Vorjahr. Der Umsatz ging wegen der ungünstigen Wechselkurse um vier Prozent auf 20,5 Milliarden Euro zurück. Damit sei Siemens auf Kurs zu einem neuen Rekordjahr, sagte der Vorstandschef.