MEHR WACHSTUM, BESSERE NACHRICHTEN: SOLL ICH MEINE SICHT ÄNDERN?

Boston / Zürich, November 2017 - James Swanson,CFA, MFS Chief Investment Strategist:

Gute Nachrichten weltweit und höheres Wachstum: Als Investmentstratege muss ich Fakten wie diese interpretieren und mich entsprechend positionieren. Wenn sich das Umfeld ändert, muss ich überlegen, ob ich meinen Ausblick anpassen muss.

In letzter Zeit hat sich das Umfeld zweifellos geändert. Als ich in diesem Quartal schwächeres Wachstum in Europa, China und den USA erwartete, passierte genau das Gegenteil. Das Wachstum hat sich fast überall beschleunigt. Im Euroraum nehmen der Konsum und die Exporte zu; in den USA haben sich Industrieproduktion und Beschäftigung verbessert; China, Taiwan und Südkorea legen bessere Exportzahlen vor. Zwar sorgt ein höheres BIP-Wachstum nicht zwangsläufig für höhere Unternehmensgewinne oder eine höhere Eigenkapitalrendite, aber es ist eine gute Basis. Der von uns erwartete Druck auf Gewinnmargen und Gewinne trat zwar ein, aber nur kurzzeitig. Im dritten Quartal sind Margen und Gewinne wieder gestiegen.

Anders als ich Anfang 2017 geglaubt habe, sind die Löhne nicht massiv gestiegen und haben die Gewinne daher nicht unter Druck gesetzt -- trotz fallender Arbeitslosigkeit. Viele Unternehmen haben heute eine grössere Preismacht, und ihre Umsätze wachsen schneller. Gut ist auch, dass sich die Langfristrenditen weitgehend seitwärts bewegt haben, die Kurse von Unternehmensanleihen stabil blieben und sich die Kreditkosten gegenüber dem Vorjahr kaum verändert haben. Auch die Inflation, der alte Fluch der Investoren, ist noch nicht wieder gestiegen. Entsprechend stark legte das Anlegervertrauen zu, auch wenn die Gründe für niedrige Inflation auf Dauer noch Schaden anrichten können. Die Alterung der Bevölkerung, die hohe Verschuldung sowie Fortschritte in der Automatisierung und Digitalisierung dämpfen die Preise, um nur einige Faktoren zu nennen. Mit all dem werden Investoren noch einige Jahre zu tun haben.

Auch die Volatilität war ungewöhnlich niedrig. 2017 ist der S&P 500 Index kaum einmal um 3% gefallen. Traditionell zählt der Oktober zu den volatilsten Monaten, man denke nur an die Börsenkräche 1929 und 1987, beide im Oktober. Doch dieses Jahr standen Mitte Oktober sowohl der VIX-Index (die implizite Volatilität des S&P 500) als auch der MOVE (der Merrill-Lynch-Index für die Volatilität amerikanischer Staatsanleihen) fast auf Allzeittiefs. Investoren können sich über aussergewöhnlich ruhige Märkte und ein hohes Anlegervertrauen freuen. Es scheint, als würden die Kurse fast täglich steigen. Selbst negative Schlagzeilen können ihnen nichts anhaben.

Wird aus Zurückhaltung Vertrauen?

Die Arbeitslosigkeit ist also niedrig, Volatilität scheint es nicht zu geben, und die Inflation hält sich in Grenzen. Soll ich deshalb meinen Ausblick ändern und wieder Vertrauen schöpfen, statt Zurückhaltung zu üben? Die Antwort heisst nein. Ich ändere meine Meinung nicht. Mir ist bewusst, dass die Fundamentaldaten besser waren als von mir vorausgesagt, doch rate ich Investoren wie schon in den letzten sieben Jahren auch jetzt nicht, plötzlich wieder Risiken einzugehen. Ich bleibe dabei, dass man auf Kapitalschutz achten sollte, auch wenn dies (angesichts der Opportunitätskosten) kurzfristig teuer ist. Hier sind meine Gründe:

1. Bewertungen: Die kurzfristigen Erträge hängen nicht von den Bewertungen ab. Schon vor einem Jahr waren Aktien teuer, und seitdem sind sie kontinuierlich gestiegen. Für langfristige Investoren zählt aber die Bewertung zum Einstiegszeitpunkt. Wir haben viele Daten, nach denen bei einem Einstieg in den S&P 500 zu einem KGV von über 20 -- am 19. Oktober waren es 21 -- Zehnjahreserträge unter denen von US-Schatzwechseln zu erwarten sind, und das meist bei deutlich stärkeren Schwankungen. Zurzeit zählen die Bewertungen der meisten Aktienmärkte weltweit zu den höchsten 10%, die jeweils gemessen wurden. Es ist also äusserst schwierig, günstig bewertete Sektoren oder Märkte zu finden.

2. Konjunkturrisiko: Der US-Konjunkturzyklus geht gerade in sein neuntes Jahr, was ihn zu einem der längsten aller Zeiten macht. Es heisst, dass Konjunkturzyklen nicht enden, weil sie in die Jahre gekommen sind. Aber je länger dieser Zyklus dauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihm die Luft ausgeht.

3. Herausforderungen für den Welthandel: Investoren haben in den letzten Jahren auch deshalb viel verdient, weil der Welthandel zu Kostenersparnissen geführt hat. Doch jetzt stehen schwierige Verhandlungen an, sei es mit China, Mexiko oder mit Grossbritannien. Aus meiner Sicht steht fest, dass der Welthandel in nächster Zeit eher ab- als zunimmt.

4. Weltweit hohe Bewertungen: Auch andere Assetklassen sind teuer. Anleihen aus den USA, Europa und Japan sind gemessen an ihrer Kurshistorie hoch bewertet, einige sogar sehr hoch. Fast alle Assetklassen sind im Vergangenheitsvergleich teuer. Manche Investoren gehen sogar so weit, dass sie mit Kryptowährungen und Ähnlichem spekulieren; Stichwort Bitcoins. Das kann nicht gut enden.

5. Chinas hohe Verschuldung: Niemand befürchtet, dass die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt bald explodiert. Aber die Verschuldung von Staat, Unternehmen und Haushalten hat das bislang Übliche überschritten. Bestenfalls wird dies das Wachstum schwächen, schlimmstenfalls werden die Rückzahlungen zu einem ernsten Problem. Irgendwann könnten die Investoren Angst bekommen.

6. Weitgehend unbekannte Finanzinstrumente: Schliesslich machen mir die unerprobten neuen Finanzinstrumente Sorgen. Seit der letzten Rezession und dem Markteinbruch verzeichneten -- bisweilen stark fremdfinanzierte -- Indextracker Billionen USDollar Zuflüsse, und noch nie mussten sie mit hohen Abflüssen zurechtkommen. Der "Flash Crash'' im August 2015 zeigte uns ansatzweise, was passieren kann, wenn die Herde aussteigen will. Es ist beunruhigend, wenn sich Wirtschaftshistoriker in diesen Tagen an die Ereignisse vor 30 Jahren erinnert fühlen, den Börsenkrach 1987. Eines steht fest: Börsenkräche werden nicht durch die Fundamentaldaten ausgelöst, sondern durch Panik. 1987 hat die Kombination aus der noch unerprobten fremdfinanzierten Risikoarbitrage und neuen Formen der Portfolioversicherung zu einem Einbruch geführt, der in keiner Weise durch ein wirtschaftliches Ereignis oder eine Rezession ausgelöst wurde. Wir wissen nicht genau, wo die Sollbruchstellen sind, doch nach neun Jahren billiger Liquidität und der weltweiten Anhäufung übermässiger Kassebestände könnten Finanzanlagen krisenanfällig sein. Vielleicht nicht heute und vielleicht auch nicht morgen, aber irgendwann wird die Liquiditätsflut ihren Tribut fordern.

Es beunruhigt mich, dass man am Schluss eines Marktzyklus immer wieder das Gleiche sieht: eine wachsende Zahl von Day-Tradern, eine neue Story, die die alte ablöst, neues Vertrauen, dass die Probleme gelöst seien und natürlich das Gefühl, dass die hohen Bewertungen gerechtfertigt sind.

Heute ist es nicht anders, und es kommt noch schlimmer. Die Investoren werden wieder in risikoreiche Titel gelockt -- durch Geschichten über die hohen Gewinne ihrer Nachbarn und die Angst, etwas zu verpassen. Aber die ist unbegründet. Als der S&P von 2009 bis 2016 stark zulegte, konnte man leicht Geld verdienen. Damals waren die Fundamentaldaten gut -- dank reichlich Liquidität und vorsichtigem Optimismus, einhergehend mit niedrigen oder durchschnittlichen KGV.

Aber jetzt ist es anders. Wir sind spät dran. Die Kurse sind hoch, und die scheinbare Ruhe an den Märkten verdeckt die Gefahren. Das ist keine Aufforderung zu verkaufen, aber eine Mahnung zur Vorsicht. Investoren sollen sich der Risiken bewusst sein und die Lage nüchtern analysieren. Vor diesem Hintergrund scheint mir eine konservative Allokation das Beste. Die Zeit für Mutproben ist vorbei.

Sie finden den volltändigen Kommentar im Anhang und die englischsprachige Originalversion via diesen Link.

ENDE


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