08. Januar 2020

Bun di bun an liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach aller Voraussicht dürfte das neue Jahrzehnt sehr anspruchsvoll werden. Aber zum Glück können wir unser Schicksal gestalten. Dass es so sei und dass wir es dann auch tun, wünsche ich unserer Branche in Zeiten des Wandels. Und ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen ein glückliches und erfolgreiches neues Jahrzehnt!

Mein Motto dafür ist 'Why worry?' (Video, Youtube, 1:06 Min)

Eine andere interessante Perspektive bietet die polnischen Literatur Nobel-Preisträgerin Olga Tokarczuk in ihrem Roman Unrast:

'Als ich so in den Anblick der Strömung versunken auf dem Flutwall stand, wurde mir klar, dass allen Gefahren zum Trotz das, was in Bewegung ist, immer besser sein wird als das, was ruht, dass der Wandel edler ist als die Stetigkeit, dass das Unbewegliche Zerfall und Auflösung anheimfallen muss und zu Schutt und Asche wird, während das Bewegliche sogar ewig währen kann.'

Mir gefällt diese Betrachtung. Sie bringt zum Ausdruck, dass Wandel etwas Positives ist. Er fordert uns zwar heraus. Aber das ist allemal besser als die Alternative des Stillstands.

Nun ist der Wandel in unserer Branche besonders rasant. Es ist unsere Verantwortung und unser Privileg, diese Herausforderung anzunehmen und den Wandel zu gestalten.

Wir können festhalten, dass wir das mit Erfolg tun. Bis zur Jahrtausendwende ist das Verlagsgeschäft wie geschmiert gelaufen. Seither bedrängen neue digitale Angebote unser traditionelles Geschäftsmodell immer mehr.

Die Werbeumsätze der Presse haben sich mehr als halbiert. Die Anzahl Zeitungstitel hat abgenommen und die Gesamtauflage der verbleibenden Titel ist gesunken - unter Einbezug der E-Paper um etwa einen Viertel.

Gemäss PwC Media Outlook wird sich die Entwicklung fortsetzen. Steigende Erträge im Digitalbereich werden die Rückgänge im Print bei weitem nicht kompensieren.

Bemerkenswert ist, dass das Medienangebot in der Schweiz trotz dieser dramatischen Entwicklung hervorragend bleibt.

Sogar das bekanntlich kritische Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich kommt in seinem letzten Jahrbuch Qualität der Medien zum Schluss, dass die untersuchten Angebote gesamthaft betrachtet nur leicht verlieren.

Die massgeblichen professionellen, journalistischen Standards werden als stabil beurteilt.

Wobei im letzten Jahrzehnt darüber hinaus neue Werte geschaffen wurden

  • wie beispielsweise spektakuläre Recherchen - zum Teil von internationalen Netzwerken - auf dem Gebiet des Datenjournalismus gezeigt haben
  • oder Glanzpunkte wie die spezielle Interviewserie über die Festtage im Tages-Anzeiger.

Zu den 2010er Jahren hat der Medienjournalist Rainer Stadler im vergangenen Februar in der NZZ festgehalten: 'Journalistischer Fortschritt heisst Technologisierung plus Kooperation'. Ich denke, dass der Durchbruch erst noch bevorsteht.

Die Hauptfelder der Entwicklung hat Professor Bernd Girod von der Stanford University schon früher benannt:

​1. Automatisierung im Journalismus, im Vertrieb von Inhalten und im Verkauf unserer Leistungen

2. 'User Interfaces' oder 'Computer-Human-Interaction'

  • ​Zum Beispiel der Einfluss von neuen Geräten wie der Apple Watch oder dem Samsung Galaxy Fold auf die Medien

  • in der Folge werden auch 'Augmented & Virtual Reality' eine Rolle spielen

3. schliesslich das Feld der 'data analytics'.

Über den Datenjournalismus hinaus werden die Nutzerdaten uns helfen, unsere Angebote besser auf ihre Interessen und Bedürfnisse auszurichten. Angesichts der unendlich vielen Alternativen, die ihnen zur Verfügung stehen, ist die Entwicklung dieser Fähigkeit von existentieller Bedeutung.

Das heisst nicht, dass der Journalismus seine Autorität verlieren wird. Im Gegenteil: überzeugende Beiträge sind wichtiger denn je; sie sind der entscheidende Mehrwert, den die Publizistik leisten kann.

Überblick, common sense, historisches Gedächtnis, kulturelles Bewusstsein und Einordnungskompetenz bleiben wichtig

  • nicht als Bevormundung, sondern im Sinne einer Dienstleistung

  • denn wir können Relevanz nicht mehr einseitig vorordnen.

Persönlich glaube ich, dass im neuen Jahrzehnt zusätzlich die Fähigkeit zur Reduktion entscheidend sein wird.

Es wird ein Rückgang der Medienvielfalt beklagt. Das mag stimmen, wenn man nur das Angebot traditioneller Zeitungstitel betrachtet, die es schon vor 50 Jahren gegeben hat.

Insgesamt war das Informationsangebot aber noch nie so reichhaltig und die Konkurrenz um die Zeit der Menschen noch nie so gross wie heute.

Anlass zur Besorgnis gibt eher der Wandel der Mediennutzung. Sie verschiebt sich zu den globalen Plattformen, wo keine professionellen journalistischen Standards gelten. Das immer grössere Medienangebot führt zu einer Überforderung sowohl der Macher-Innen als auch der Nutzer-Innen. Im Überangebot wird Qualität überlebenswichtig.

Wir müssen besser und professioneller werden, als wir es in der Vergangenheit waren.

Denn was die traditionellen Medien betrifft, ist etwas dran an der Kritik des 'Mainstream'. Das ist weniger eine Ressourcenfrage als eine Frage der Geisteshaltung.

Wir müssen noch konsequenter zwischen Berichterstattung und Meinung trennen. Wir müssen unsere Themen eigenständiger auswählen, tiefer bohren und unterschiedlichen Gesichtspunkten mehr Raum geben.

Und wir müssen den Nutzwert für die Leserschaft erhöhen, indem wir darstellen, was institutionelle Nachrichten für sie konkret bedeuten. Die Orientierung an den Interessen und Bedürfnissen unserer zahlenden Leserschaft und der zunehmende wirtschaftliche Druck werden uns zwingen, die in Zukunft deutlich geringeren Mittel gezielter einzusetzen.

Die Konzentration auf echte Mehrwerte, die Nutzung der neuen technologischen Möglichkeiten und Kooperationsfähigkeit sind Voraussetzungen für das Überleben von Bezahlmedien.

Dabei stellt die digitale Transformation des Abonnementmodells die grösste geschäftliche Herausforderung des neuen Jahrzehnts dar. In der Branche ist bereits ein bemerkenswertes savoir faire entstanden. Wir müssen jedoch realistisch sein. Die Preise für digitale Abonnements liegen um die Hälfte bis zwei Drittel tiefer als für unsere bestehenden Print- und Hybridabonnements. Und der Werbemarkt wird unter Druck bleiben.

Unter der optimistischen Annahme, dass die digitale Transformation gelingt, werden die Einnahmen der traditionellen Medienmarken im nächsten Jahrzehnt um die Hälfte bis zwei Drittel zurückgehen. Das ist dramatisch. Der Balance Akt zwischen inhaltlicher Arbeit und Kostenmanagement wird im neuen Jahrzehnt noch anspruchsvoller.

Umso mehr als der Aufbau der digitalen Kompetenz hohe Investitionen erfordert und die grossen Kostenblöcke insbesondere beim Vertrieb gedruckter Zeitungen bestehen bleiben.

Das heisst nicht, dass Zeitungen keine Zukunft haben. Im Gegenteil - es wird weiterhin Menschen wie mich geben, die besonders gerne Zeitung lesen.

Aber wenn wir sparen müssen - und darum werden wir leider nicht herumkommen - dürfen wir nicht bei der digitalen Transformation sparen, sondern müssen wir bei den Kosten unserer gedruckten Angebote ansetzen. Alles andere wäre nicht nachhaltig.

Vieles lässt sich aus eigener Kraft erreichen. Allein auf die Vertriebskosten haben wir wenig Einfluss. Ein Ausbau der bewährten indirekten Presseförderung unter Einschluss der Frühzustellung ist darum dringend

  • als Kompensation für die bereits hohen Zustellkosten der Post und

  • als service public zur Erhaltung der gedruckten Zeitungen.

Sie bilden Stand heute und auf absehbare Zeit das Rückgrat der demokratischen Meinungsbildung in unserem föderalistischen Land.

Das Präsidium unseres Verlegerverbands geht davon aus, dass ohne Ausbau der indirekten Presseförderung in den nächsten drei Jahren ein Drittel der heutigen Zeitungstitel nicht überleben können.

Darum haben wir in den vergangenen Monaten in Zusammenarbeit mit der Post und dem BAKOM die technischen Grundlagen für den Einbezug der Frühzustellung in die indirekte Presseförderung erarbeitet.

Dabei spüren wir die Unterstützung des UVEK. In den nächsten Monaten werden wir uns dafür einsetzen, dass das Parlament die notwendigen gesetzlichen Grundlagen schaffen wird. Kurz- und mittelfristig stellt dieses Dossier die absolute Priorität unseres Verlegerverbands dar.

Langfristig bleibt die Förderung der Medienkompetenz unser wichtigstes Anliegen. Auch dafür sind wir auf gute Rahmenbedingungen angewiesen, die wir nur in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand schaffen können. In der Medienpolitik wird dem Thema leider immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Aber im Verlegerverband hat es einen hohen Stellenwert. Über unser Medieninstitut investieren namhaft in neue Lehrmittel und weiterführendes Unterrichtsmaterial.

Die öffentlich diskutierte Idee eines Qualitätslabels für Medien könnte gut dazu passen.

Mit dem Konzept 'Journalismus erlebbar machen' setzen wir uns dafür ein, dass Journalistinnen und Journalisten in die Wissensvermittlung einbezogen werden.

Und im Rahmen des Projekts PUMAS - die Abkürzung steht für 'publizistische Medienkompetenz in Ausbildung und Schulen' - engagieren wir uns mit weiteren Partnern dafür, dass das Thema im Rahmen von Medienwochen und Schülerzeitungen in den Schulalltag Eingang findet.

Das Verständnis der nächsten Generation für Medienqualität wird das zukünftige Medienangebot bestimmen. Darum kann der Stellenwert der Medienkompetenz nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und darum bin ich glücklich, dass wir auf diesem Gebiet konkrete Fortschritte erzielen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Zürich, 8. Januar 2020 - Es gilt das gesprochene Wort

Verband Schweizer Medien veröffentlichte diesen Inhalt am 08 Januar 2020 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 08 Januar 2020 15:40:06 UTC.

Originaldokumenthttp://www.schweizermedien.ch/artikel/news/2020/dreikonigstagung-ansprache-prasident-pietro-supino

Public permalinkhttp://www.publicnow.com/view/A2012E77ED1970DEA7E9D637E7BA763C6CB5C55E