BERLIN (dpa-AFX) - So ruhig wie seit Jahrzehnten nicht ist Deutschland mitten in der Corona-Krise ins neue Jahr gestartet. Viele Straßen und Plätze blieben in der Neujahrsnacht auffällig leer, es waren weit weniger Menschen unterwegs als sonst. Polizei und Rettungsdienste sprachen in ersten Bilanzen meist von ruhigen Lagen. Trotz des Verkaufsverbots wurde teils kräftig geböllert, auch Feuerwerk leuchtete am Himmel. Schwere Unfälle mit Feuerwerk gab es ebenfalls: So starb ein 24-Jähriger in Brandenburg bei einem Unfall mit selbstgebastelter Pyrotechnik. Ein Berliner Supermarkt mit lagernden Feuerwerkskörpern brannte komplett ab und stürzte ein, rund 110 Einsatzkräfte hielt der Brand in Atem.

Die größte Silvesterparty Deutschlands und das Höhenfeuerwerk am Brandenburger Tor in Berlin waren wegen des geltenden Lockdowns abgesagt worden. Private Feiern waren bundesweit nur in kleinem Rahmen erlaubt. Vielerorts beendete die Polizei kleinere nicht erlaubte Wohnungspartys. Um böllertypische Verletzungen zu vermeiden und die Kliniken in der Pandemie nicht noch weiter zu belasten, war ein grundsätzliches Böller-Verkaufsverbot erlassen worden. Dennoch knallten zahlreiche Böller und Raketen - besonders in Berlin.

Auch zu Notfällen kam es: Bei Frankfurt/Oder starb ein 24-jähriger Mann - nach ersten Erkenntnissen der Polizei wurde kurz nach Mitternacht selbst gebaute Pyrotechnik gezündet. In Schmalkalden in Thüringen wurde ein 24 Jahre alter Mann durch einen zu früh explodierenden Böller schwer verletzt. Laut Polizei hatte der Mann den Böller selbst gezündet, zu befürchten sei, dass er erblinde. Weil er sich mit einem Böller die Hand weggesprengt hatte, wurde ein 37 Jahre alter Mann aus Lauenburg in ein Hamburger Krankenhaus gebracht.

Handchirurgen des Unfallkrankenhauses Berlin mussten während des Jahreswechsels zehn von Sprengkörpern verletzte Menschen notoperieren. Bei zwei Patienten hätten Teile der Hände amputiert werden müssen, sagte eine Sprecherin. Bei den anderen Fällen handele es sich um Brandverletzungen, Fleischwunden und Knochenbrüche. Insgesamt sei Silvester deutlich ruhiger verlaufen: "Es war keine typische Silvesternacht."

Einen Angriff mit Böllern auf Einsatzkräfte gab es in Essen: Rund 30 junge Männer hätten zunächst Mülltonnen in Brand gesetzt, sagte ein Polizeisprecher. Als die Feuerwehr anrückte, seien die Einsatzkräfte mit Böllern beworfen worden. Polizeibeamte, die als Verstärkung gerufen wurden, seien ebenfalls mit Böllern beworfen worden. Einen 16-Jährigen nahmen die Beamten schließlich fest. In Wismar steht eine 45 Jahre alte Frau im Verdacht, Böller von einer Wohnung aus auf zwei Polizisten geworfen zu haben.

In Berlin-Buckow ging ein rund 800 Quadratmeter großer Supermarkt in Flammen auf und stürzte teils ein. Laut Feuerwehr waren offenbar im hinteren Bereich des Markts Feuerwerkskörper gelagert worden, die explodierten und während der Löscharbeiten durch die Gegend flogen. Die rund 110 Einsatzkräfte hätten deshalb auf ihren eigenen Schutz achten mussten.

Gut zu tun hatten die Einsatzkräfte auch in Leipzig, wo sieben Bundeswehr-Jeeps auf dem Gelände eines Autohandels ausbrannten. Die Polizei ging von Brandstiftung aus.

In Berlin, aber auch andernorts musste die Polizei zudem immer wieder kleinere Menschengruppen auflösen. Mehr als 80 Regelbrecher wurden dort vorübergehend festgehalten wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz, wie ein Sprecher sagte. Mindestens drei Beamte wurden demnach im Einsatz leicht verletzt, konnten den Dienst aber fortsetzen. Polizeisprecherin Patricia Brämer fand dennoch lobende Worte: "Wir möchten uns bei den vielen Berlinerinnen und Berlinern bedanken, die sich an die Verordnungen gehalten haben."

Die meisten Hauptstädter feierten im kleinen Kreis ins neue Jahr. Die Maßnahmen stießen bei vielen auf Verständnis. Manche, wie der 49-jährige Stefan, der mit einer Freundin in Neukölln spazierte, fanden es sogar "ganz hervorragend, dass weniger geballert wird".

Am Brandenburger Tor herrschte ungewohnte Leere. Das ZDF strahlte seine Silvestershow live, aber ohne Publikum vor Ort aus, der Applaus kam vom Band. Fernsehzuschauer konnten sich bewerben, um über Video in der Sendung "Willkommen 2021" eingeblendet zu werden. Im Showprogramm traten Álvaro Soler, Vicky Leandros und Jürgen Drews mit Tochter Joelina auf. Thomas Gottschalk grüßte per Video.

Und wie wurde sonst in Deutschland gefeiert? Tendenziell ruhig. "Kein Vergleich mit vorangegangenen Jahren", sagte ein Polizeisprecher in Mainz. Ähnliches war aus München, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern zu hören. Die Düsseldorfer Innenstadt, wo ein Böllerverbot galt, war bis kurz vor Mitternacht menschenleer.

In Stuttgart kam es bei fünf genehmigten Demonstrationen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung und Landesregierung Baden-Württembergs mit Hunderten Teilnehmern wiederholt zu Verstößen gegen die Auflagen.

In Oldenburg sprengte die Polizei eine Party mit 18 Personen. Hier wurde eine Wohnungstür zwangsweise geöffnet, weil niemand auf Klopfen und Klingeln der Einsatzkräfte reagierte, wie ein Polizeisprecher sagte. Die Partygäste im Alter zwischen 18 und 25 Jahren zeigten sich uneinsichtig, Ordnungswidrigkeitsverfahren wurden eingeleitet.

Insgesamt erinnerte das Bild in deutschen Städten aber eher an den TV-Silvesterklassiker "Dinner for One" (Abendessen allein), bei dem sich zwei Menschen mit Freunden betrinken, die gar nicht anwesend sind. Manche machten Fondue oder Rcalette zu zweit, andere bestellten sich das Gourmet-Menü aus dem Restaurant für zu Hause oder trafen sich in Sektlaune mit der Familie in einer Videokonferenz.

In vielen Ländern der Welt fielen die Silvesterfeiern wegen der Corona-Pandemie verhaltener aus als sonst. Nicht nur in Italien und Frankreich herrschten nächtliche Ausgangssperren. Viele Partys und Feuerwerke wurden abgesagt, darunter Festivitäten in Amsterdam, London und Rio de Janeiro.

In der italienischen Stadt Bergamo, die bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr besonders viele Tote zu beklagen hatte, war manchen gar nicht zum Feiern zumute. Die Verantwortlichen dort organisierten dann aber doch ein spezielles Event mit TV-Aufzeichnung, um das Coronavirus - oder besser das ganze Jahr 2020 - symbolisch zu verbrennen, wie es hieß.

Während das berühmte Pariser Feuerwerk in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie ausfiel, kamen Elektro-Liebhaber auf ihre Kosten. Gleich zwei Stars inszenierten Shows vor der Kulisse von Pariser Wahrzeichen: Elektropop-Pionier Jean Michel Jarre (72) läutete das neue Jahr in einer virtuellen Notre-Dame-Kathedrale ein, Elektro-DJ David Guetta (53) beglückte seine Fans mit einer aufgezeichneten Musikshow vor dem Louvre.

Auch wegen der strengen Corona-Ausgangsbeschränkungen hat die Polizei in London bis zum Freitagmorgen keine besonderen Vorkommnisse aus der Neujahrsnacht gemeldet. Es sei "recht ruhig" gewesen, sagte der Chef der Londoner Polizeigewerkschaft, Ken Marsh, der BBC. Mehrere spontane Versammlungen seien rasch aufgelöst worden. "Die Öffentlichkeit hat eingesehen, dass wir in einer ernsten Lage sind, und wir haben nicht die Menschenmengen gesehen, die wir befürchtet hatten."

In vielen Ländern begann das neue Jahr schon deutlich früher: Als weltweit Erste - bereits um 11 Uhr mitteleuropäischer Zeit - rutschten die Südsee-Inseln Samoa und Kiribati ins neue Jahr.

Eine Stunde später schossen in Neuseeland die Feuerwerkskörper in die Höhe. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern verzeichnete der Inselstaat im Südpazifik seit mehr als einem Monat keine lokalen Corona-Fälle mehr. Daher fanden Musikfestivals und Feuerwerksshows ohne Begrenzungen der Besucherzahl oder andere Einschränkungen statt.

Mit einem farbenprächtigen Feuerwerk samt Lasershow am höchsten Gebäude der Welt - dem Burdsch Chalifa - begrüßte Dubai das neue Jahr. In Moskau gab es trotz Corona-Sperrstunde ein großes Feuerwerk am Kreml.

Bis 13.00 Uhr MEZ am 1. Januar dauert es, bis der ganze Globus ins neue Jahr gerutscht ist. Als letztes sind die Bakerinsel und die Howlandinsel im Pazifik dran. Stören dürfte sich daran niemand: Beide Inseln sind unbewohnt./gth/DP/zb