Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat sich im Dezember nach Aussage von Analysten der Deutschen Bank hawkisher als erwartet gegeben. Sie haben daher ihre Prognosen für den Zinsgipfel im aktuellen Zyklus auf 3,25 (zuvor: 3,00) Prozent angehoben und rechnen frühestens für Mitte 2024 mit einer ersten Zinssenkung. Die EZB ist nach ihrer Einschätzung zu Recht besorgt wegen verschiedener Faktoren, die zu einem anhaltend hohen Inflationsdruck führen könnten.

1. Lohninflation

Dass die Inflation möglicherweise schon ihr zyklisches Hoch hinter sich hat, ist für die EZB ein schwacher Trost. Sie ist besorgt, weil der Arbeitsmarkt sehr eng ist, was zu einem außergewöhnlich starken Lohnwachstum führen dürfte. Die Analysten um Mark Wall weisen darauf hin, dass die EZB für das vierte Quartal 2022 und das vierte Quartal 2023 Teuerungsraten von 10,0 Prozent und 3,6 Prozent prognostiziert, was 2022 bis 2024 zu jährlichen Lohnzuwächsen von 4 bis 5 Prozent führen könnte. Wegen dieses schrittweisen Prozesses könne die EZB aber nie sicher sein, ob die Löhne zu schwach oder zu stark stiegen, weshalb sie auch 2023 noch nicht den voraussichtlichen Endpunkt ihrer Zinserhöhungskampagne kennen werde.

2. Fiskalpolitik

Die Ausrichtung der Fiskalpolitik ist derzeit expansiv, und eine weitere Lockerung ist nach Einschätzung der Deutschen Bank nicht ausgeschlossen. "Die Regierungen haben eine Neigung dazu offenbart, die Volkswirtschaften von krisenhaften Anstiegen der Lebenshaltungskosten abzuschirmen, auch um den Preis ungezielter Maßnahmen, die die Preisstabilität gefährden könnten", heißt es in dem Papier. Auch eine (von den Analysten selbst erwartete Inflation von 6,3 Prozent könne noch Befürchtung hervorrufen und die Fiskalpolitik unter Druck setzen. Auch sei eine Reaktion auf die jüngsten US-Subventionen unter dem Inflation Reduction Act denkbar.

3. Finanzierungsbedingungen

Sie müssen dafür sorgen, dass die geldpolitischen Intentionen der EZB in der Wirtschaft ankommen. Dass sich die marktseitigen Finanzierungsbedingungen seit dem Oktober-Meeting des EZB-Rats mehr oder weniger seitwärts bewegt haben, war nach Aussage der Deutsche-Bank-Analysten der Grund für den hawkishen Schwenk der EZB. Sie erwarten, dass diese Refinanzierungsbedingungen (für Banken) weiterhin zu einem hawkishen Grundton bei der EZB führen werden. Allerdings könnten ungünstigere Refinanzierungsbedingungen bei Banken (für Unternehmen) mit der Zeit zu einer weniger inflationsaversen Rhetorik führen.

4. Terminal Rate

Die Analysten rechnen in ihrem Basisszenario damit, dass der Höchstzins im aktuellen Zyklus (Terminal Rate) bei 3,25 Prozent liegen und Mitte des zweiten Quartals erreicht sein wird. "Für diese Prognose gibt mehr Auf- als Abwärtsrisiken", merken sie an. Senken wir die EZB ihre Zinsen demnach erst ab Mitte 2024, und zwar in Schritten von 25 Basispunkten pro Quartal, bis auf 1,75 Prozent im zweiten Halbjahr 2025.

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January 09, 2023 06:07 ET (11:07 GMT)