Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Immer mehr Unternehmer finden laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) keine geeignete Nachfolge. Aktuell sei es daher für 28 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer eine Option, die Türen für immer zu schließen. Im Vorjahr waren es 25 Prozent, wie die DIHK mitteilte. "Hochgerechnet stehen deswegen in den nächsten fünf Jahren mehr als eine Viertelmillion Unternehmen vor dem Aus", teilte die Kammerorganisation zu ihrem Report Unternehmensnachfolge mit, dem laut den Angaben mehr als 48.000 Beratungsgespräche in den Industrie- und Handelskammern (IHK) zugrunde liegen.

"Die Rückmeldungen aus den Unternehmen bereiten mir große Sorgen", sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. "Viele Unternehmerinnen und Unternehmer fühlen sich von der Politik nicht richtig ernst genommen und empfinden die zunehmenden Detailregelungen und kleinteiligen Pflichten als bürokratisch und oftmals als vollständig unverhältnismäßig." Sie wollten etwas schaffen und innovativ sein, stattdessen sollten sie Daten sammeln und "Formulare bearbeiten, abschicken und abheften". Dazu kämen hohe Kosten etwa für Energie, inflationsbedingte Kaufzurückhaltung, fehlende Fachkräfte und große Unsicherheit über den Kurs der Wirtschaftspolitik.

"Die Rahmenbedingungen am Standort Deutschland verschlechtern sich. Unternehmertum wird leider immer unattraktiver, was ich als überzeugter Unternehmer sehr bedaure", sagte Adrian. Immerhin sähen die IHK nach der schwierigen Corona-Zeit wieder vermehrt Nachfragen in den Dienstleistungsbranchen. Allerdings sei der Rückgang gegenüber der Vorkrisenzeit weiter frappierend. Im Vergleich zum Jahr 2019 meldeten sich demnach 36 Prozent weniger Interessenten, um einen Betrieb zu übernehmen. Dass die deutlichen Corona-Einbußen zwischenzeitlich nicht wieder aufgeholt werden konnten, sei ein Alarmsignal. Vielfältige Unsicherheiten führten weiter zu einer abwartenden Haltung bei Investitionen und beim unternehmerischen Engagement.

Gleichzeitig hätten sich noch nie so viele Senior-Unternehmerinnen und -Unternehmer zur Unternehmensnachfolge beraten lassen. Die Zahl der Beratungen stieg laut DIHK 2023 auf 8.276 - im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 22 Prozent. Im gleichen Zeitraum hätten sich 2.760 Interessenten bei den Kammern gemeldet. Die Zahl der Unternehmerinnen und Unternehmer, die eine Nachfolgelösung suchten, sei also dreimal so hoch wie die Zahl der Interessenten. Sehr herausfordernd sei die Situation im Gastgewerbe, im Handel und in der Verkehrsbranche.

Diese Entwicklungen könnten deutliche Auswirkungen auf die Struktur des Mittelstands haben, warnte die DIHK. "Wir müssen dringend umsteuern und den Schritt in die Selbstständigkeit erleichtern - egal ob Nachfolge oder Gründung", forderte Adrian. Die Politik sei gefordert, die Perspektiven zu verbessern. Es gelte, ganz konkrete Hürden für den Übergang zu beseitigen. So sollten Genehmigungen für einen Betrieb auch nach dem Wechsel in der Eigentumsstruktur und der Geschäftsführung fortgelten. Die mit den Unternehmensnachfolgen verbundenen Verwaltungsprozesse müssten zudem verschlankt und digitalisiert werden. Adrian verlangte, künftig sollten die Beteiligten einen beabsichtigten Betriebsübergang nur noch bei einer einzigen staatlichen Stelle anzeigen müssen.

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June 27, 2024 06:05 ET (10:05 GMT)