Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--Die Pandemie wird zur Folge haben, dass westliche Staaten gemessen am Bruttoinlandsprodukt auf den höchsten Schuldenbergen seit dem Zweiten Weltkrieg sitzen. Um damit fertig zu werden, brauchen sie ein besseres Verständnis der Inflation.

Bisher haben sich mit einer hohen Schuldenquote verbundene Befürchtungen wiederholt als falsch erwiesen. Dennoch wird bereits wieder versucht gegenzusteuern. Wahrscheinlich werden in der Eurozone die Defizitobergrenzen erneut Geltung erlangen. In Großbritannien hat Finanzminister Rishi Sunak den Weg der öffentlichen Finanzen als "nicht nachhaltig" bezeichnet.

Wenn die aktiv gestaltende Fiskalpolitik überleben will, müssen neue Regeln her. Sollten diese darauf abzielen Anleihemarktinvestoren abzuwehren, die gegen die als inflationär geltende Geld- oder Fiskalpolitik protestieren, indem sie Anleihen verkaufen und so die Zinsen erhöhen? Oder sollten sie einfach dafür sorgen, dass die Inflation nicht weiter angeheizt wird?

Der letztere Gedanke wurde durch die umstrittene Denkrichtung der "Modern Monetary Theory" (MMT) populär gemacht, aber die Kluft zwischen beiden Ansätzen ist gar nicht so groß, wie es scheint. Selbst lautstarke Gegner von MMT teilen die Annahme, dass die Inflation das wahre Hindernis für die Fiskalpolitik ist. Unterschiedliche Auffassungen betreffen die Funktionsweise der Inflation.

Unter den Traditionalisten haben der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers und der frühere Berater von Barack Obama, Jason Furman, kürzlich geschrieben, dass Schulden kein Problem seien, weil die Zinssätze so niedrig sind. Die Regierungen können demnach Geld ausgeben, solange ihre Nettozinszahlungen inflationsbereinigt unter einem Prozent des BIP bleiben.

Für den ehemaligen Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, ist der Schlüssel, dass die Renditen von Staatsanleihen niedriger sind als die erwarteten BIP-Wachstumsraten. Selbst wenn ein einmaliger Stimulus dazu führe, dass die Verschuldung gegenüber dem BIP in die Höhe schießt, wüssten vorausschauende Anleger somit, dass die Mathematik letztendlich dafür sorgen wird, dass die Schuldenquote ganz von alleine sinkt. So war das auch nach dem Zweiten Weltkrieg.

Beide Ansätze beschwören das Gespenst der Marktkräfte: Eine lockere Emission von Schuldtiteln ist jetzt zulässig, möglicherweise jedoch nicht in Zukunft. Seit 1881 lagen die Anleiherenditen in etwa 40 Prozent der Fälle über den BIP-Wachstumsraten, wie auch die meiste Zeit nach den 1980er Jahren.


   Ökonomen uneinig über Inflationsursachen 

Wie Summers selbst kürzlich betonte, hängen die Anleiherenditen aber auch mit der Inflation zusammen. Wenn die Regierungen weiterhin zu viele Schulden machen, werden die Zinssätze der Theorie zufolge steigen. Irgendwann wird das Drucken von Geld der letzte Ausweg sein, was wiederum zu Inflation führt. Im Gegensatz dazu sehen die Befürworter von MMT die Inflation als Folge zu hoher Ausgaben, unabhängig davon, ob diese durch Guthaben oder Schulden finanziert werden. Darin liegt der wahre Konflikt.

Bisher scheint die letztere Theorie besser zu den Tatsachen zu passen, da die Zentralbanken ein Jahrzehnt damit verbrachten, für Billionensummen Anleihen zu kaufen, ohne eine Inflation auszulösen.

Viele Ökonomen argumentieren, dass dies ein weiteres Ergebnis der Druckes auf Zinssätze durch gesellschaftliche Kräfte und Marktkräfte sei, aber auch dies ist fragwürdig. Langfristige Zinsen, bereinigt um die Inflation, haben historisch betrachtet die Politik der Zentralbanken nachgezeichnet. Das war auch so in Zeiten, in denen sich die Zentralbanken nicht auf Wachstum und Inflation konzentrierten, wie beispielsweise während des Goldstandards von 1880 bis 1914. Die Tatsache, dass diese Zinsen derzeit tief negativ sind, sagt viel mehr über die Politik der US-Federal Reserve aus als über die wirtschaftlichen Fundamentaldaten.

Wenn die Zinszahlungen für die Schulden selbst weitgehend von den politischen Entscheidungsträgern festgelegt werden, können sie kein zuverlässiges Frühwarnsignal sein. Die Finanzpolitik könnte sowohl zu straff als auch zu locker sein und dennoch mit einer solchen Regel in Einklang stehen.

Welchen Indikatoren sollten die politischen Entscheidungsträger dann folgen? Die Inflation selbst wäre keine schlechte Wahl, obwohl die Warenkörbe, auf die sie sich bezieht, ein eher grobes Bild liefern. Diese können nämlich auch spezifische Versorgungsengpässe verschleiern, wie es zuletzt der Fall war.

Die Regierungen müssen Verbraucherausgaben und Engpässe in der Industrie eng überwachen sowie Konjunkturprogramme automatisch mit einem längeren Anstieg der Arbeitslosigkeit verknüpfen, anstatt dies dem Ermessen von Beamten zu überlassen.

Außerhalb der USA sollte dem Wechselkurs viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, da durch Abwertung Inflationsspiralen entstehen können. Es ist das Verständnis der Inflation, nicht der Anleihemärkte, das die Fiskalpolitik von ihren Fesseln befreien kann.

DJG/DJN/rer/uxd

(END) Dow Jones Newswires

January 06, 2021 05:55 ET (10:55 GMT)